Die Company
–, und er hat sie in die Verbannung geschickt.« Stariks knochige Finger umfassten Jewgenis Handgelenk. »Für jemanden in deiner Position ist jede Liebesbeziehung mit einer Frau eine heikle Sache. Eine Liebesbeziehung mit einer shid ist absolut ausgeschlossen.«
»Da habe ich ja wohl auch ein Wörtchen mitzureden.«
Aber Starik war unerbittlich. »Das hast du nicht«, sagte er mit Nachdruck. »Du musst dich entscheiden zwischen einer Frau und einer glänzenden Karriere – du musst dich zwischen ihr und mir entscheiden.« Er sprang auf und warf eine Karte mit der Adresse der Klinik vor Jewgeni auf den Tisch. »Wenn du morgen früh nicht zu der Operation erscheinst, begegnen wir uns nie wieder.«
Am Abend stieg Jewgeni auf das Dach seines Hauses und blickte stundenlang auf den rötlich schimmernden Dunst über dem Kreml. Er wusste, dass er einen Drahtseilakt vollführte und dass er ohne weiteres auf der einen oder der anderen Seite hinunterspringen konnte. Er hätte es verstanden, wenn man ihn aus operativen Gründen gebeten hätte, Asa aufzugeben, aber nur weil sie Jüdin war, das war eine bittere Pille. Trotz seines ganzen Geredes von Genialität und Großzügigkeit hatte sich Starik als fanatischer Antisemit entpuppt. Jewgeni hörte das Wort shid, das in seinem Kopf brodelte. Und dann dämmerte es ihm, dass die Stimme, die er hörte, nicht die Stariks war; es war eine dünnere Stimme, zittrig vor Alter, Pessimismus und Panik, es war die Stimme von jemandem, der Angst vor dem Altwerden hatte, der den Tod herbeisehnte, aber das Sterben fürchtete. Das Wort shid, das Jewgeni im Ohr widerhallte, kam von dem großen Tolstoi persönlich; man brauchte nur an dem erhabenen Idealisten des Geistes zu kratzen, und es kam ein Antisemit zum Vorschein, nach dessen Überzeugung, wie Tolstoi selbst versichert hatte, der Makel des Christentums, die Tragödie der Menschheit, aus der rassischen Unvereinbarkeit zwischen dem Nichtjuden Christus und dem Juden Paulus entsprang.
Jewgeni lachte erst leise, dann schallend laut. Und dann öffnete er den Mund und schrie in die Nacht hinaus: » Sa uspech naschego besnadjoshnogo dela! Auf den Erfolg unseres hoffnungslosen Unterfangens!«
Die Beschneidung, unter örtlicher Betäubung vorgenommen, war eine Sache von Minuten. Jewgeni bekam Schmerztabletten und eine antiseptische Salbe. Er zog sich in seine Wohnung zurück, vertiefte sich in die Informationsbroschüre von Prichodko und stellte eine Liste mit Stadtteilen, Parks und Kaufhäusern in diversen amerikanischen Großstädten an der Ostküste zusammen, die sich als Treffpunkte für Kontaktaufnahmen mit Agenten eigneten. Das Telefon klingelte siebenmal am Samstag, viermal am Sonntag und zweimal am Montag. Das eine oder andere Mal ging seine Haushälterin an den Apparat. Wenn sie am anderen Ende eine weibliche Stimme hörte, fluchte sie auf Tadschikisch und knallte den Hörer auf. Nach einigen Tagen ließ das Brennen in Jewgenis Penis nach, bis schließlich nichts mehr zu spüren war.
Eines Morgens brachte ein Motorradkurier Jewgeni einen versiegelten Umschlag, in dem sich ein weiterer versiegelter Umschlag mit einem Pass auf den Namen Gregori Ozolin und ein Flugticket nach Oslo befanden. Dort würde Ozolin von der Erdoberfläche verschwinden, und ein junger Amerikaner namens Eugene Dodgson, der als Rucksacktourist durch Skandinavien reiste, an Bord eines norwegischen Frachters gehen, der nach Halifax in Kanada fuhr.
Am Abend vor Jewgenis Abreise erschien Starik mit einer Dose Importhering und einer gekühlten Flasche Wodka. Die beiden unterhielten sich bis spät in die Nacht über Gott und die Welt, aber nicht über das Mädchen Asa. Nachdem Starik sich verabschiedet hatte, starrte Jewgeni das Telefon an, hoffte fast, es würde klingeln und eine klangvolle Stimme am anderen Ende der Leitung sagen: »Eigentlich mag ich den Sommer nicht besonders.«
Gegen sechs Uhr morgens klingelte es dann tatsächlich. Jewgeni sprang aus dem Bett und verharrte vor dem Apparat. Während das misstönende Klingeln durch die Wohnung schrillte, fiel sein Blick auf den gepackten Koffer neben der Tür. Er spürte, wie eine magnetische Kraft ihn förmlich zu seiner Aufgabe auf dem amerikanischen Kontinent zog. Mit einem traurigen Lächeln akzeptierte er sein Schicksal und setzte sich auf den Koffer, mit dem er auf eine sehr lange Reise gehen würde.
3 Frankfurt,
Mittwoch, 7. Februar 1951
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