Die Comtessa
Spuren hinterlassen. In den weichen Falten seines Gesichts konnte man die sonst so kantigen Züge dieser vizegräflichen Familie nur noch erahnen. Die Hüften hatten mit den Jahren einen Speckring erworben, und tiefe Tränensäcke zierten seine Augen, die trotz des angenehmen Daseins immer etwas argwöhnisch oder mit beißendem Spott die Welt betrachteten.
Schweißtreibende Vergnügungen wie die Jagd oder etwa Raubzüge gegen die Mauren überließ er seinem Bruder Artaud. Trotz unverkennbarer Familienähnlichkeiten ließen Artauds scharfes, sonnengebräuntes Adlergesicht und schlanke, muskulöse Gestalt einen Mann der Tat vermuten, der eher auf einem guten Gaul zu Hause war als zwischen seidenen Bettlaken.
Trotz dieser Gegensätze verstanden sich die Brüder gut. Gausbert, der Ältere und Scharfsinnigere, traf die wichtigen Entscheidungen, während Artaud die Lanze des Klans darstellte. Er führte die Fehden, hielt die Barone in Schach und presste so viel Gold wie möglich aus den Familienbesitzungen. Gold, das sein Bruder mit seiner verschwenderischen Lebensweise wieder verprasste. Doch die untergeordnete Rolle, die Artaud spielte, störte ihn wenig, denn er war einfachen Gemütes und zufrieden in der Gewissheit, dass seine Söhne einst die Vizegrafschaft erben würden, denn Gausbert hatte weder Weib noch Nachkommen.
»Was genau erhofft Ihr Euch von Ramon Berenguer?«, fragte Gausbert, während er an einem Froschschenkel lutschte und dann die Reste hinter sich auf den Boden warf. »Soll er mit einem Heer heranstürmen und den bösen Buben maßregeln?« Er grinste spöttisch.
Ermengarda wusste nicht recht, was sie antworten sollte, und blickte hilfesuchend zu Bruder Aimar hinüber. Der aber starrte auf seinen Teller und wollte ihr nicht beispringen. Ihr wurde klar, sie musste lernen, selbst ihre Rolle als
vescomtessa
zu übernehmen, sonst würde man sie nie ernst nehmen.
»Ich meine«, sagte sie, »er wird doch gewiss verhindern wollen, dass das Erbe seines Onkels Aimeric an Tolosa geht.«
Gausbert trank aus einem schweren silbernen Kelch und griff sich einen neuen Froschschenkel. »Kann gut sein. Schließlich ist Narbona eine fette Gans. Die würde ich mir auch nicht entgehen lassen.« Bei diesen Worten lachte er kurz auf und warf seinem Bruder einen seltsamen Blick zu, den Ermengarda nicht zu deuten wusste.
Die Brüder waren ihr nicht geheuer. Man hatte sie freundlich aufgenommen, dennoch wurde sie aus Gausbert nicht schlau. Er schien Anspielungen und doppeldeutige Bemerkungen zu mögen, grinste dazu anzüglich und zwinkerte seinem Bruder zu, als tauschten sie Botschaften aus, deren Sinn nur ihnen zugänglich war.
Castel Nou war ein seltsamer Ort voller Gegensätze. So schroff und abweisend das Äußere des Gemäuers, so überbordend üppig und verschwenderisch gestalteten sich die Annehmlichkeiten im Innern. Teppiche zierten nicht nur die Wände, sondern sogar die Fußböden. Wer,
bon Dieu,
hatte je so etwas gesehen?
Man fühlte sich ins Reich der Mauren versetzt, denn überall standen Sessel und Liegen, auf denen seidene Kissen zum Verweilen luden. Da die schmalen, Schießscharten ähnelnden Fenster wenig Licht ins Innere warfen, brannten überall auch tagsüber teure Wachskerzen, und zwar in solchen Mengen, dass jeder Winkel der Burg hell erleuchtet war. Es musste ein Vermögen kosten.
Der zur Schau gestellte Reichtum beeindruckte Ermengarda und ihre Gefährten. Gausbert schien auserlesene Gegenstände zu sammeln. Herrliche Kandelaber, wertvolle Kelche aus buntem, geschliffenem Glas, silberbeschlagene Truhen aus schwarzem Ebenholz, elfenbeinerne Schatullen, eine Sammlung erlesener Sarazenendolche, die in edelsteingeschmückten Scheiden steckten. Auf dem Fußboden, mitten zwischen den Flügeln der U-förmigen Tafel lag das Fell eines afrikanischen Löwen samt Kopf und aufgesperrtem Rachen. Ermengarda konnte kaum den Blick von den furchterregenden gelben Fängen wenden, und jedes Mal, wenn sie hinschaute, verschlug es ihr erneut den Atem.
Speise und Trank schienen auf dieser Burg einen gewichtigen Platz einzunehmen. Nicht, dass Gausbert sich übermäßig vollfraß, er bediente sich eher verhalten von dem reichhaltigen Angebot, das aufgetragen wurde. Doch die Beschäftigung mit diesen Köstlichkeiten schien einen guten Teil seiner Zeit einzunehmen. Er aß ein wenig von diesem und jenem, und wenn etwas nicht nach seinem Geschmack war, sandte er es mit scharfen Worten zurück in die Küche.
Sein Bruder
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