Die Comtessa
frischen Böen legte sich das Boot nun auf die Seite, nasse Planken glänzten im grellen Licht der Sonne, und weiße Gischt stob an der Bordwand hoch, wenn der schlanke Bug sich in die Wellen stemmte.
»Wohin die wohl fahren?«, sagte Arnaut.
»Genua oder Pisa?« Severin zuckte mit den Schultern.
»Oder Sicilia. Vielleicht noch weiter.«
Das Meer in seiner unfassbaren Weite hatte sie überwältigt. Sie, die in den engen Tälern der Corbieras aufgewachsen waren, ergriff scheue Ehrfurcht vor der Majestät des nimmer enden wollenden Horizontes. Es erschien ihnen wie ein Abbild der Allmacht Gottes.
Lange hatten sie nicht gesprochen, sondern nur die Augen über dieses unendliche Blau wandern lassen, das Spiel der Wellen verfolgt und die Kunststücke der vielen Seevögel beobachtet, die sich schwerelos im Wind treiben ließen. Der Gedanke, dass Menschen den Mut hatten, diese gewaltigen Wassermassen auf ihren zerbrechlichen Schiffen zu überqueren, ließ sie in Ungläubigkeit erschauern. Und doch fühlte Arnaut sich seltsam angezogen, dem Ruf der Ferne zu folgen. Fast wehmütig blickte er dem Segler nach, der sich inzwischen nach Südosten gewandt hatte, mit schwankenden Bewegungen vor dem Wind lief und langsam kleiner wurde.
»Vielleicht fahren sie bis Outremer«, murmelte er verträumt.
Das Wort Outremer hatte diesen unvergleichlich geheimnisvollen Klang für ihn. Das Land, wo Kostbarkeiten, Gewürze und Seide herkamen, das Land der
sarasins,
denen christliche Waffen vor über vierzig Jahren einen breiten Küstenstreifen abgerungen hatten. Antiochia, Edessa, Tripolis, Jaffa und Jerusalem. Überall dort hatte sein Großvater in vorderster Reihe gekämpft. Die vielen Geschichten schwirrten ihm seit seiner Jugend im Kopf herum. Outremer, das größte, das wahnwitzigste aller Abenteuer.
Er wusste, dass die Männer, die damals ausgezogen waren, grausamste Leiden auf sich genommen hatten, dass die meisten nie mehr die Heimat wiedergesehen hatten … trotzdem, der Gedanke, vielleicht eines Tages nach Outremer aufzubrechen, jagte ihm aufregende Schauer den Rücken hinunter.
»Wir sollten den Jungen nicht so lange allein lassen«, sagte Severin und riss ihn aus seinen Tagträumen.
Arnaut blickte den Strand entlang zurück. Weit entfernt sah er Joris winzige Gestalt einsam auf dem flachen Sand hocken. Den Umgang mit den Pferden war der Junge nicht gewohnt. Reiten konnte er schon gar nicht, und wie ein verzweifeltes Äffchen hatte er sich auf dem Weg hierher an Severins Rücken geklammert. Sie hatten ihm das zahme Maultier zur Gesellschaft gelassen, um den Pferden ungestörten Auslauf zu erlauben. Besonders Arnauts Hengst hatte den langen Galopp am Strand genossen, sich am Ende voller Übermut in die anlaufenden Wellen gestürzt, so dass Arnauts Kleider durchnässt waren. Im scharfen Wind frierend, verfluchte er den Eigenwillen seines Gauls.
»Was bist du so besorgt um den Bengel?«
Severin antwortete nicht, zuckte nur verlegen mit den Schultern. Sonderbar, wie sein Freund auf einmal begonnen hatte, sich um den kleinen Straßenhalunken zu kümmern. Während Arnauts gestrigem Treffen mit Felipe de Menerba hatte Severin dem Jungen, wie versprochen, ein Paar feste Bundschuhe gekauft und von seinem eigenen Geld bezahlt. Sogar für gebrauchte, aber ordentliche Kleider hatte er ausgelegt.
Severin setzte seine Stute in Bewegung. Arnaut folgte, der Wallach ging brav am Seil mit, und in leichtem Trab ritten sie an der Schaumlinie der Wellen entlang. Severin rief etwas über die Schulter, das im Tosen der Brandung unterging.
»Ich fragte, warum du dich gegen deinen Lehnsherrn stellen willst?«, wiederholte er, als Arnaut zu ihm aufgerückt war. Dem Bericht über das Gespräch mit dem Fürstensohn hatte Severin nur schweigend gelauscht und bisher nichts dazu verlauten lassen. Jetzt schien er reden zu wollen. »Mit seinem Reiterhauptmann hast du dich ja schon überworfen. Und jetzt die Sache mit diesem Felipe.«
»Es soll doch nur die Erbin beschützt werden. Wer sollte etwas dagegen haben?«
Severin versah ihn mit einem Blick, als rede er mit einem tumben Kind. »Na die, die ihr schaden wollen«, knurrte er. »Sei doch nicht einfältig.«
»Wenn du so verdammt klug bist, dann klär mich auf.«
»Wenn ihr jemand Böses will, dann doch sicher die Partei, die hier feindselig auftritt, oder? Und das ist Tolosa, wie wir gestern gesehen haben. Deshalb frage ich dich nochmals, willst du dich da einmischen?«
Seit der blutigen
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