Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
Vom Netzwerk:
etwas wütet in ihm, das er nicht aus sich herauslassen kann. Er wagt es nicht, seinen Gelüsten zu folgen und sie mit bloßen Fäusten zu erwürgen. Langsam.
    »Also, fangen wir wieder von vorne an. Wo genau glauben Sie, diese drei Frauen an Bord genommen zu haben?« Er schweigt.
    »Wer war Ihre Kontaktperson? War das der uns namentlich bekannte Kapitän des russischen Schiffes? Das verdorbenes Trinkwasser an Bord hatte, wie wir von den russischen Behörden gehört haben? So dass Sie, Ihr Schiff, helfen mussten?« Noch immer keine Antwort. Nur Adern, die immer mehr anschwellen.
    »An wen sollten die ›Waren‹ in Trondheim geliefert werden?« Keine Antwort. Kommissarin Halvorsen seufzt in aufgesetztem Kummer.
    »Dann nicht«, sagt sie. »Dann war sonst also niemand mit im Spiel. Niemand, der zur Rechenschaft gezogen werden müsste. Gut, dass Kapitän Mindor Hansen die Schuld nicht anderen zuschiebt, sondern die gesamte Verantwortung selbst übernimmt. Zugibt, dass die gesamte Operation von ihm selbst geplant und ausgeführt worden ist, es ist sicher ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Kapitän die volle Verantwortung trägt. Dass er gelobt wird, wenn Lob fällig wird, und bestraft, wenn Strafe angesagt ist. Dass er mit seinem Schiff untergeht und seine Strafe auf sich nimmt. Sie haben Recht, so ist das.«
    Doch dann knallt es. Für einen Moment glaubt Anne-kin, dass seine Adern geborsten sind. Dass ihr Gesicht von seinem heißen, feuchten Blut getroffen wird. Aber es ist kein Blut, sondern Schaum. Der Schaum aus seinem Mund, der sich in Kaskaden aus Speicheltropfen niederschlägt. Aus Tropfen, die plötzlich durch das Zimmer geschleudert werden. Und sie treffen.
    »Verdammte Scheißhölle«, schreit er. »Das wäre ja noch schöner. Ich werde deshalb nicht im Knast verrotten! Scheiße, nein!«
    Sie wartet geduldig. Bewegt sich nicht. Lässt die Speicheltropfen über ihre Wange laufen.
    »Meint ihr wirklich, ich lass mir das einfach ganz brav gefallen?« Anne-kin wagt kaum den Kopf zu schütteln.
    »Meint ihr wirklich ihr könntet mir die ganze Schuld aufhalsen? Was? Aber dann seid ihr schief gewickelt. Hören Sie? Schief gewickelt! Verdammt, ich steh ein für das, was ich getan habe, aber mit dem Rest will ich verdammt noch mal nichts zu tun haben. IST DAS KLAR?« Anne-kin Halvorsen sieht seine beschwörende Faust zwei Zentimeter vor ihrer Nasenspitze.
    »Also«, sagt sie so ruhig sie kann. »Jetzt fangen wir noch mal von vorne an.« Sie rutscht ein wenig zurück. »Wo genau haben Sie die drei Frauen an Bord genommen?«
     
    Mindor Hansen kann nicht als eifrigster Musterschüler durchgehen, er hebt nicht die Hand, er springt nicht auf, um allerlei Erklärungen und auswendig gelernte Gedichte und Sprüche herunterzuleiern. Die Worte wollen nicht so recht kommen. Die Erklärungen brauchen Zeit. Aber es geht voran.
    Als der Polizist, der ihn vom Verhör holen und in seine Zelle bringen soll, auftaucht, geht Mindor Hansen auf geradem Weg aus dem Raum. Schaut sich in der Tür nicht um, hat weder einen tödlichen Blick noch einen freundlichen Abschiedsgruß für die beiden anderen. Er stapft einfach nur hinaus. Mit ganz leicht hängenden Schultern.
     
    Kommissarin Anne-kin Halvorsen lässt sich in ihrem Sessel zurücksinken, schaut das Fenster an und denkt, jetzt muss ich wirklich aufstehen und das Fenster aufmachen. Lüften. Die Luft im Zimmer ist erstickend, es stinkt. Sie stinkt. Alles stinkt. Und sie ist einfach restlos fertig. In ihrem Kopf gibt es nicht einen einzigen Gedanken mehr, sondern nur Schlamm. Kein Triumphgefühl, nicht die geringste Spur von »ich kam, sah und siegte«. Nichts, was damit Ähnlichkeit hätte? Wie könnte ein Mensch innerlich in Jubel ausbrechen, nach einer Reise, wie sie jetzt hinter ihr liegt? Der Reise, in die Kapitän Mindor Hansen sie eingeweiht hat? Die mit einem Container voller Tod und Schmeißfliegen endete? Mit surrenden, fliehenden, angreifenden Schmeißfliegen? Einer Fliegensymphonie, einer unvollendeten Symphonie? Sie weiß nicht, ob sie seiner Beteuerung glaubt, dass er den letzten Satz dieser Symphonie nicht kennt, dass er nicht weiß, wer die Frauen holen sollte, dass er keinen Namen, keine Adresse, keine Telefonnummer kennt? Dass sein Auftrag einfach lautete, in der Nacht zum 19. September 1997 um 03.00 nachts drei Stück Frauen einem wartenden Lieferwagen im Trondheimer Nyhavn auszuhändigen, einem Wagen, der so stand, dass die Nummernschilder nicht zu sehen waren, und

Weitere Kostenlose Bücher