Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
sie am Vorabend keinen Gedanken an das Bild verschwendet, und Brody wahrscheinlich auch nicht.
Pech, denn als er nach Hause fuhr, hätte er es mitnehmen und ihr einen Weg ersparen können.
Andererseits hatte Brody eine ausgeprägte sture Ader. Womöglich hätte er sich geweigert, das Paket mitzunehmen, weil er nun mal wollte, dass sie es ihm brachte.
Carolyn fuhr mit einem Finger über die Verpackung. Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund, ließ sich dort aber nicht nieder. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde sie die Batik wie abgemacht bei Brody abliefern, doch die Lieferung würde womöglich mehr umfassen als nur ein Kunstwerk.
Sie war mit diesen und anderen lustvollen Gedanken beschäftigt, als unter Glöckchenklimpern die Ladentür aufging. Innerlich wappnete sie sich für einen neuerlichen Kundeansturm.
Stattdessen fegte Primrose Sullivan in einem leuchtend bunten Kaftan in den Laden und schleppte noch mehr Gemälde heran.
„Ich habe gearbeitet wie eine Verrückte“, rief sie begeistert. „Wenn ich keine Bilder mehr bringen soll, sag mir auf der Stelle Bescheid.“
Die letzte Lieferung war über die Website in Windeseile verkauft gewesen.
So behutsam, wie eine Mutter ihr Kind zum Mittagsschläfchen bettete, legte Primrose ihre Last ab und strahlte Carolyn an. Ihre blauen Augen wirkten riesig hinter den Gläsern ihrer Leopardenmuster-Brille.
„Es ist Stadtgespräch“, verkündete Primrose vergnügt.
Das war wieder ein Moment, in dem Carolyn nach Luft schnappen musste, allerdings nicht vor Freude. Ihre Ohren glühten, und ihre Kehle schnürte sich zu. Was, wie sich herausstellte,gut war, denn sie war im Begriff gewesen, herauszuplatzen, dass Brody nicht über Nacht geblieben war – und dass sie es, offen gesagt, satthatte, ein Klatschobjekt zu sein.
„Ihr wollt den Laden vergrößern“, sprudelte Primrose hervor. „Das finde ich so aufregend! Stimmt es, dass ihr Hilfskräfte einstellen wollt?“
„Ja“, brachte Carolyn schwach hervor. „Das stimmt. Tricia und ich hoffen, dass du bereit bist, Unterricht zu geben …“
Primrose rieb sich voller Vorfreude die schwer beringten Hände. „Und ob“, sagte sie. „Und ihr könntet überlegen, ob ihr irgendwann Mavis Pawlings als Unterrichtskraft hinzuziehen wollt. Sie ist Expertin für Basteleien und Gummistempel und solche Sachen. Und Lily Wilde – einer ihrer Quilts hat letztes Jahr auf dem Jahrmarkt den ersten Preis gewonnen …“
Carolyn lächelte und hob beide Hände. „Hoppla, Primrose“, sagte sie freundlich, „lass mich erst mal Luft holen.“
Doch Primrose war zu aufgeregt, um auch nur eine Sekunde still sein zu können. „Basteln ist der Hit, weißt du“, plapperte sie. „Und Quilts? Himmel, daraus ist eine regelrechte Industrie entstanden, ganz von allein.“ Sie sah sich forschend um. „Reißt am besten eine oder zwei Wände raus“, überlegte sie laut. „Ihr könntet Stoffe verkaufen. Diese Stadt braucht einen Stoffladen. Zurzeit müssen die Leute den weiten Weg nach Denver auf sich nehmen, um ein paar Meter Baumwolle und eine Spule Garn zu kaufen.“
„Primrose“, flehte Carolyn lachend, „vergiss nicht zu atmen.“
Und Primrose atmete tatsächlich durch, doch der Aufschub war nicht von Dauer. „Handgefertigte Ware ist toll“, fuhr sie fort, „aber der Großteil eures Geschäfts läuft übers Internet, oder?“
„Ein großer Teil“, bestätigte Carolyn vorsichtig. „Warum?“
Nun kam die ältere Frau richtig in Fahrt. „Die Duftkissenund Spitzendeckchen und all die anderen Dinge sind in Ordnung – und Gott weiß, ich bin dir und Tricia dankbar, dass ihr so viele von meinen Batiken verkauft –, aber der verfügbare Raum wäre sicherlich besser genutzt, wenn ihr Sachen anbietet, für die Nachfrage besteht. Wie zum Beispiel Material für Quilts. Vielleicht sogar die eine oder andere Nähmaschine.“
Carolyn lächelte. „Primrose?“
„Ja, meine Liebe?“ Die ältere Frau strahlte.
„Hättest du gern einen Teilzeitjob?“
„Bietest du mir einen an? Meine Freunde behaupten, ich verbringe zu viel Zeit in meinem Atelier und würde versauern oder sogar meine Kreativität erschöpfen, und ich selbst hätte auch liebend gern für ein paar Stunden am Tag einen Tapetenwechsel.“
„Ich muss natürlich zuerst noch mit Tricia sprechen“, wandte Carolyn ein, „aber ich wüsste niemanden, den ich lieber als Hilfskraft einstellen würde als dich. Und sie ist bestimmt ganz meiner
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