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Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt

Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt

Titel: Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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Unterlippe und nickte. „Ja“, sagte sie.
    Er hob eine Hand, und sekundenlang glaubte Carolyn, es wäre ein Friedensangebot. Zum Glück verstand sie dann, dass er ihren Hausschlüssel wollte, bevor sie sich erneut vollständig zum Narren machte, indem sie ihm stattdessen ihre Hand gab.
    Brody öffnete ihre Tür und gab ihr den Schlüssel zurück, als sie in die Wohnung getreten war und sich zu ihm umdrehte.
    Winston, der wahrscheinlich vom Fensterbrett aus zugesehen hatte, sprang mit einem satten Bums zu Boden, doch er fauchte Brody nicht wie gewohnt an und bauschte nicht einmal seinen Schwanz. Er schnurrte vielmehr und strich Brody zur Begrüßung ein paarmal um die Stiefel.
    Brody nahm Winston nicht zur Kenntnis, er sah Carolyn direkt an. Der Schmerz in seinen Augen war erkennbar und entsprach dem dumpfen Weh in ihrem Herz.
    „Gute Nacht dann“, sagte Brody schließlich.
    „Gute Nacht“, brachte Carolyn mühsam hervor.
    Dann drehte Brody sich um und ging. Carolyn verriegelte die Tür, die sie trennte, und schaltete das Licht aus.
    Winston miaute und blickte zu ihr auf.
    Carolyn zwang sich, den Zigeunerrock genauer in Augenschein zu nehmen.
    Er war zerfetzt. Völlig dahin.
    Wie betäubt ging sie in ihr Schlafzimmer, tauschte ihr Cinderella-Ballgewand gegen Jeans und T-Shirt und kehrte zurück in die Küche.
    „Ich hab’s geschafft“, sagte sie zu Winston und suchte in den Schränken nach der Schachtel mit Ingwertee. Ihr Magen rumorte.
    Winston sprang wieder auf sein Fensterbrett. „Riau?“, fragte er.
    Sie tätschelte seinen Kopf und lächelte traurig. Ihre Augen fühlten sich verquollen an. Vermutlich war ihr Gesicht mit Make-up verschmiert, und der Himmel allein wusste, wie ihr Haar inzwischen aussah. Doch das alles war unwichtig, denn es war die alte Leier. Schon wieder ein Déjà-vu-Erlebnis.
    Sie hatte eine Schwäche für Fantastereien und gestattete sich den Glauben an Märchen. Nur für eine Nacht hatte sie Prinzessin sein wollen.
    War das so schlimm?
    Carolyn vergaß ihren Ingwertee, öffnete eine andere Schranktür und begann ihre Souvenirbecher auszuräumen, einen nach dem anderen.
    Disneyland. Der Grand Canyon. Independence. The Alamo.
    Keinen dieser Orte hatte sie je besucht, doch sie hätte einen Familienurlaub an jedem einzelnen schildern können, bis zum Wetter und den Mahlzeiten samt den Restaurants, in denen sie gespeist hatte. Jede Menge Fotos hätten diese Erinnerungen verankert, und die Auswahl eines bestimmten für die jährliche Weihnachtskarte wäre mit Sicherheit eine Herausforderung gewesen.
    Immerhin habe ich keine Ansichtskarten an mich selbst geschickt, dachte sie kleinlaut, und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen.
    Von den durch Souvenirs nachgewiesenen Orten hatte sie genau drei gesehen – sämtlich einsam und allein: Boise in Idaho, Virginia City in Nevada und Reno. Nicht einmal Las Vegas, zum Teufel, sondern nur Reno.
    Es war erbärmlich.
    Sie hatte genug von der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Genug von Märchen. Genug von den Versuchen, jemand anders zu sein als Carolyn Simmons, das inzwischen erwachsene Pflegekind ohne Familie und ohne Vergangenheit und ganz sicher ohne glückliche Ferien in ihrer Erinnerung.
    Nicht dass sie Mitleid mit sich selbst verspürte – wenn überhaupt etwas, dann empfand sie Wut.
    Vielleicht hatte Brody sie an diesem Abend auflaufen lassen, vielleicht aber auch nicht. In jedem Fall hatte sie sich aufgeführt wie eine Verrückte, und er würde ihr von nun an aus dem Wege gehen.
    Und das war wahrscheinlich gut so.
    Carolyn nahm den Disneyland-Becher in die Hand, erinnerte sich daran, wie sie ihn auf einer ihrer völlig unspektakulären Reisen in einem Secondhandladen gekauft hatte, und warf ihn in den Mülleimer, wo er mit einem befriedigenden Klack zerbrach.
    Winston sah sie merkwürdig an, doch ihr sonderbares Verhalten schien ihn nicht übermäßig zu bekümmern.
    Das war der erste Streich.
    Als Nächstes entsorgte sie den Becher vom Grand Canyon. Er traf auf sein Gegenstück von Disneyland und zersplitterte.
    Als sie fertig war, nannte sie nur noch drei Becher ihr Eigen. Sie waren nichts Besonderes, erinnerten sie aber wenigstens an Orte, die sie tatsächlich einmal gesehen hatte.
    Sie hatte oft gehört, das Zerschlagen von Geschirr habe eine therapeutische Wirkung, und diese Theorie schien ein Körnchen Wahrheit zu enthalten, denn sie fühlte sich bereits eine Spur besser als zuvor, obwohl ihr Kopf noch schmerzte und ihr Magen

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