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Die Daemonenseherin

Die Daemonenseherin

Titel: Die Daemonenseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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flankierten das Fenster. Neblige Dunkelheit drückte gegen die regennassen Scheiben, wie Finger, die über das Glas tasteten, auf der Suche nach einem Weg ins Haus. Erst da wurde ihr bewusst, dass das behagliche Licht im Raum nicht von draußen kam, sondern von einer Stehlampe, die neben dem Sessel stand.
    Blinzelnd betrachtete sie den Lampenschirm und fragte sich, wie spät es sein mochte. Die roten Leuchtziffern des Radioweckers auf dem Nachttisch verkündeten 21:34 Uhr. Ihr fehlten über drei Stunden, seit sie die Wohnung des Professors betreten hatte.
    Drei Stunden, an die sie nicht die geringste Erinnerung hatte.
    Eines jedoch wusste sie mit Sicherheit: Dies war nicht das Schlafzimmer des Professors.
    Zwischen Bett und Kommode führte eine offene Tür in ein Badezimmer. Alessa streifte die Decke ab und schwang die Beine aus dem Bett. Als sie aufstand, sanken ihre Füße in den weichen Teppich. Sie fühlte sich so erschöpft, dass sie sich am liebsten wieder unter der Decke zusammengerollt und weitergeschlafen hätte; der Gedanke an das, was sie außerhalb des Schlafzimmers erwarten mochte, hielt sie jedoch davon ab.
    Sie tappte zum Bad und tastete nach dem Lichtschalter. Als sie ihn drückte, ging in der Decke eine ganze Reihe Halogenspots an und offenbarte den Blick auf ein fensterloses Badezimmer, das gut dreimal so groß war wie in ihrer eigenen Wohnung.
    Alessa ging zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und wusch sich Gesicht und Hände. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, warf sie einen Blick in den Spiegel. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen und ließen ihr Gesicht aussehen wie einen Totenschädel.
    Nichts, was sich mit ein paar Stunden Schlaf nicht in den Griff bekommen ließe.
    Ihr Blick blieb an ihrem Rollkragenpullover hängen. Sie legte die Hand auf ihre Schulter und ließ sie nach hinten in Richtung des Schulterblatts wandern. Beinahe glaubte sie das heiße Pulsieren durch den Stoff hindurch zu spüren, das in gleichmäßigen Wellen von dem Samenkorn unter ihrer Haut ausströmte.
    Sie sah kurz zur Tür, dann schob sie den Pullover nach oben, drehte sich herum und warf im Spiegel einen Blick auf ihre Schulter. Das Samenkorn war weitergewachsen, seine dunklen Umrisse lagen jetzt wie ein faustgroßer Tumor unter der Haut.
    Alessa wusste nicht, wie viel noch fehlte, bis sie den Kampf verlieren und der Dämon ausbrechen würde, ihr war jedoch bewusst, dass sie den Rand des Abgrunds erreicht hatte. Sie schob die Bilder von Mikeys zerrissenem Leib, die in ihr aufstiegen wie Luftblasen von einem versinkenden Schiff, von sich und richtete ihren Blick wieder auf den Schatten unter ihrer Haut, der so lebendig wirkte, dass sie fürchtete, es könne längst zu spät sein, noch etwas gegen ihn auszurichten. Die Versuche im Labor hatten ihn genährt. Obwohl sie während der letzten Jahre nicht auf ihre Kräfte zurückgegriffen hatte, war er weder kleiner noch schwächer geworden. Sie hatte ihn lediglich in seinem letzten Stadium konserviert – zumindest bis zu dem Punkt, an dem sie gezwungen gewesen war, sich wieder ihrer Fähigkeiten zu bedienen.
    Während der vergangenen Jahre hatte sie ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf die Mauer gerichtet, sodass es ihr selbst im bewusstlosen Zustand gelungen war, sie wieder aufzurichten und zu halten. Wenn sie jedoch weiter auf ihre Kräfte zurückgriff – nicht dass sie es in der Wohnung des Professors absichtlich getan hatte, die Panik hatte sie die Kontrolle verlieren lassen –, würde er weiterwachsen und sie schließlich umbringen.
    Viel fehlte nicht mehr. Alessa brauchte nur in sich zu gehen, ihren Geist nach dem Dämon ausstrecken, um seine wachsende Unruhe, den Zorn und die Kraft, die er ausströmte, zu spüren.
    Wenn die beiden Seher sie auf das Anwesen der Gemeinschaft gebracht hatten, bekam sicher auch Doktor Burke bald davon Wind, dass sie wieder hier war. Dann würden die Versuche weitergehen, bis es zu spät war. Sie würde enden wie Mikey, als Überrest eines misslungenen Experiments, den man vom Boden wischte, ehe man sich dem nächsten Probanden zuwandte.
    Alessa verließ das Bad und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Ihr Blick richtete sich auf die geschlossene Tür. Sie bezweifelte, dass ihr gefallen würde, was sie dahinter fand, doch früher oder später musste sie sich den Tatsachen stellen. Es sei denn …
    Ihr Blick wanderte zum Fenster. Bisher hatte sie es vermieden, hinauszublicken, aus Furcht vor dem, was sie sehen würde. Hohe Mauern,

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