Die Daemonenseherin
Die Handschuhe wiesen sie als Seher aus, doch das konnte genauso bedeuten, dass sie Wilde waren. Abgesehen davon war sie tatsächlich hungrig. Sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und auch keinen Hunger verspürt – bis Kent sie danach gefragt hatte.
Alessa nickte.
Hinter Kent sprang Parker aus dem Sessel. »Sind Sandwiches okay oder soll ich eine Pizza bestellen?«
»Sandwiches sind prima.«
»Alles klar.« Parker deutete auf die Couch. »Mach es dir bequem. Essen kommt gleich.«
Die beiden verließen das Wohnzimmer. Geschirr klapperte, Schubladen wurden auf- und zugeschoben, Schränke geöffnet und geschlossen und immer wieder hörte Alessa das Klappen der Kühlschranktür.
Sie stand nach wie vor neben der Couch, die Jacke in der Hand, und überlegte, ob sie die Abwesenheit der beiden nutzen und verschwinden sollte, als Kent mit einer großen Tasse dampfenden Tees ins Wohnzimmer kam.
Auf der Schwelle hielt er inne. »Du stehst ja immer noch rum. Ich hoffe, du denkst nicht darüber nach, abzuhauen. Es wäre schade um die Sandwiches.«
»Du machst dir Sorgen um das Essen?«
»Nur am Rande«, grinste er, wurde aber schnell wieder ernst. »Du hältst uns bestimmt für ziemlich schräge Vögel und vielleicht hast du damit nicht einmal unrecht, aber eines kann ich dir versichern: Wir wollen dir helfen.«
»Warum?«
»Du hast da ein paar überaus mächtige Fähigkeiten an den Tag gelegt«, er ging zum Couchtisch und stellte den Tee darauf ab, ehe er Alessa wieder ansah, »und es machte nicht gerade den Anschein, als hättest du sie unter Kontrolle gehabt. Das ist ziemlich gefährlich. Du könntest aus Versehen jemandem etwas antun.«
Parker kam mit einem Teller Sandwiches aus der Küche und fügte hinzu: »Jemandem mit einem weniger harten Schädel, dem umherfliegende Gegenstände mehr ausmachen als uns.«
»Vielleicht wollt ihr mir ja endlich sagen, wer ihr seid und was ihr von mir wollt.«
Parker zuckte die Schultern. »Vielleicht. Aber nur, wenn du endlich die blöde Jacke weglegst und dich setzt.« Er stellte den Teller ab, schaltete den Fernseher aus, kramte ein paar Servietten aus der Schublade eines Schrankes und warf sie auf den Tisch.
Alessa, die im Augenblick nicht das Gefühl hatte, in Gefahr zu sein, ergab sich ihrem Schicksal. Sie warf den Parka über die Couchlehne und ließ sich in die Polster sinken. Die geblümten Bezüge hatten schon bessere Zeiten gesehen, doch ungeachtet des fadenscheinigen und verblichenen Stoffes war das Möbel genauso bequem, wie es aussah.
Parker und Kent drehten die Sessel zum Tisch herum und schnappten sich jeder ein Sandwich. »Hau rein!«
Alessa griff zu. Der Gedanke, dass sie Gift unter den Belag gemischt haben könnten, streifte sie, ließ sich jedoch ebenso schnell wieder abschütteln, wie er gekommen war. Wenn sie ihr etwas antun wollten, hätten sie das längst getan – während der drei Stunden, in denen sie ausgeknockt gewesen war. Entschlossen biss sie zu. Für eine Weile aßen sie schweigend. Alessa war froh um die Schonfrist. Zweifelsohne musste sie sich bald einer Menge bohrender Fragen stellen, von denen sie die meisten mit einer Lüge beantworten würde. Für den Augenblick jedoch genoss sie die Ruhe und das Essen.
Zwischendurch nippte sie immer wieder an ihrem Tee, und als sie nach dem zweiten Sandwich satt war, nahm sie die Tasse in die Hand und lehnte sich zurück. Das Porzellan wärmte ihre Finger und der Kräutergeruch beruhigte sie.
Trotzdem stellte sie die Tasse wieder ab und stand auf. »Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.« Sie griff nach ihrem Parka. »Vielen Dank für das Essen.«
Sie ging auf die Tür zu und war erstaunt, wie schnell der schwerfällig aussehende Kent auf den Beinen war und sie eingeholt hatte. Mit einem raschen Schritt stellte er sich vor sie und versperrte ihr den Weg – wie er es schon in der Wohnung des Professors getan hatte.
Die Erinnerung an ihren Kraftausbruch stieg mit derartiger Heftigkeit in ihr auf, dass ihre Knie weich wurden. Heute Nachmittag war sie in Panik geraten, als er sie nicht gehen lassen wollte. Was, wenn diese Panik jetzt erneut die Kontrolle übernahm?
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte er ruhig. »Bleib noch ein bisschen.«
»Bin ich eure Gefangene?«
»Na, so weit kommt es noch«, rief Parker von hinten. »Du bist unser Gast.«
»Einer, den wir nicht so schnell verlieren möchten«, fügte Kent hinzu. »Was hältst du davon, wenn wir
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