Die Daemonenseherin
Chips, die wir noch im Haus haben«, grinste Parker und deutete auf die Schüssel mit den Kartoffelchips. »Ein Skalpell sollte in keinem guten Haushalt fehlen. Wenn du willst, können wir deinen Chip ebenfalls entfernen. Ein kleiner Schnitt und weg ist das Ding.«
Das klang verlockend. Aber wollte sie wirklich ein paar Comicfreaks, die sie eben erst kennengelernt hatte, an ihrem Nacken herumschneiden lassen?
Parker bemerkte ihr Zögern. »Denk einfach in Ruhe darüber nach.«
»Alexandra!«, rief Kent plötzlich.
Alessa blinzelte. »Was?«
»Dein Name. Du heißt Alexandra … oder so ähnlich.«
Dass er der Wahrheit so nahekam, gefiel ihr nicht. Andererseits glaubte sie nicht, dass die beiden sie verraten würden. »Alessa«, sagte sie. »Alessa Flynn.«
»Du bist für die Ausbildung der Frischlinge zuständig«, erkannte Kent.
»Das war ich.«
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Willst du uns nicht vielleicht doch ein bisschen mehr über dich erzählen? Die Kräfte, die du in der Wohnung des Professors entfesselt hast, sind auch für Seher nicht gerade typisch. Was hattest du dort überhaupt zu suchen? Wenn ich richtig im Bilde bin, wusste niemand, wo sich der Professor aufhielt.«
»Was ist aus ›Du musst keine Fragen beantworten, die du nicht beantworten willst‹ geworden?«
»Gilt immer noch. Aber ich glaube, dass du inzwischen gesprächiger bist, nachdem du unsere Geschichte kennst.«
Was die beiden erzählt hatten, konnte ebenso gut gelogen sein. Nein! Warum sollten sie das tun? Alessa konnte sich sogar an einige der Begebenheiten erinnern, über die sie gesprochen hatten. Die Comics, der Ärger, die Explosion, bei der sie angeblich gestorben waren. Diese Kerle lebten seit sechs Jahren außerhalb der Gemeinschaft. Wenn ihr jemand helfen konnte zu entkommen, dann die beiden. Den Chip loszuwerden, wäre ein guter Anfang. Dann könnte sie endlich die Stadt verlassen, ohne fürchten zu müssen, ein Lesegerät könnte durch einen unglücklichen Zufall doch noch auf ihren Chip ansprechen.
»Ich gehöre auch nicht länger dazu.« Es auszusprechen, war eine Befreiung. »Und sie dürfen mich niemals finden.«
»Keine Angst, wir verraten dich nicht.« Kent griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz, ehe er sie wieder freigab. »Was wolltest du in der Wohnung des Professors?«
Alessa zögerte, nicht sicher, wie viel sie erzählen sollte, aber Parker und Kent kannten den Professor, waren sogar mit ihm befreundet gewesen. Womöglich hatte er ihnen etwas erzählt, das Alessa weiterhelfen konnte. Vielleicht wussten sie sogar, wo er seine Aufzeichnungen aufbewahrte. Um das herauszufinden, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Karten auf den Tisch zu legen.
»Hat euch Professor Sparks gesagt, warum er untergetaucht ist?«
Parker nickte. »Er hat wohl an einer Versuchsreihe gearbeitet, die ein ziemlicher Schuss in den Ofen war. Damit ihn niemand dazu bringen konnte, die Arbeit daran fortzusetzen, ist er gegangen.«
»Ein Schuss in den Ofen ist gut«, sagte Alessa mehr zu sich selbst.
Sie erzählte den beiden von Sparks’ Idee, die Fähigkeiten der Seher zu steigern, erzählte ihnen von dem Samenkorn und den Dämonen, die das vollbringen sollten und schließlich aus den Körpern hervorgebrochen waren und das Massaker auf den Leith Walk angerichtet hatten.
Als sie fertig war, stießen Parker und Kent einen Pfiff aus.
»Ha!« Parker schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel und warf seinem Kumpel einen triumphierenden Blick zu. »Hab ich nicht gesagt, dass hinter der Sache am Leith Walk mehr steckt?«
Kent verzog das Gesicht. »Ja, ja, du hattest mal wieder recht.« Dann sah er zu Alessa. »Aber das war doch wohl nur die halbe Story, oder?«
Alessa nickte. Über ihren eigenen Anteil an der Geschichte zu sprechen kostete sie jedoch wesentlich mehr Überwindung als der Teil, den sie bereits erzählt hatte. Sie setzte mehrmals an, ehe sie die Worte fand, die beschreiben konnten, wie sie selbst Teil dieser Experimente geworden und schließlich geflohen war. Es war das erste Mal, dass sie jemandem von den Ereignissen im Labor erzählte, und auch davon, dass sie den Dämon in sich trug. Sie fasste sich so kurz wie möglich und beschränkte sich lediglich auf die Fakten – wie es ihr damit ging, ließ sie außen vor. Das war etwas, das sie mit sich selbst ausmachen musste.
Sie erzählte davon, wie sie dem Professor zufällig begegnet und ihm zu seiner Wohnung gefolgt war in der Hoffnung, er könne
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