Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Schloss Stygga, umhüllten wie ein Trauerflor Türme und Bastionen.
Vilgefortz hörte sich den atemlosen Bericht des herbeigelaufenen Söldners mit stoischer Ruhe und steinernem Gesicht an. Doch das umherschweifende und zwinkernde Auge verriet ihn.
»Entsatz in letzter Sekunde«, sagte er zähneknirschend. »Nicht zu glauben. Derlei passiert einfach nicht. Oder es passiert, aber in miserablen Jahrmarktsvorstellungen, was auf dasselbe hinausläuft. Tu mir den Gefallen, guter Mann, und sag, dass du dir alles ausgedacht hast, sagen wir, zur Abwechslung.«
»Nichts habe ich mir ausgedacht!«, entrüstete sich der Söldner. »Ich sage die Wahrheit! Hier sind welche eingedrungen … Eine ganze Hanse …«
»Gut, gut«, unterbrach ihn der Zauberer. »Ich habe Spaß gemacht. Skellen, befass dich persönlich mit der Sache. Das ist eine Gelegenheit zu zeigen, wie viel deine Truppen wirklich wert sind, die du für mein Gold angeworben hast.«
Der Uhu sprang auf, fuchtelte nervös mit den Händen. »Nimmst du das nicht zu leicht, Vilgefortz?«, rief er. »Du scheinst dir nicht über den Ernst der Lage im Klaren zu sein! Wenn das Schloss angegriffen wird, dann von Emhyrs Armee! Und das bedeutet …«
»Das bedeutet gar nichts«, fiel ihm der Zauberer ins Wort. »Aber ich weiß, worum es dir geht. Gut, wenn die Tatsache, dass ich dir den Rücken stärke, deine Moral hebt, dann soll es so sein. Gehen wir. Ihr auch, Herr Bonhart.
Was dich angeht« – er richtete sein schreckliches Auge auf Ciri –, »so bilde dir nur nichts ein. Ich weiß, wer hier mit dieser billigen Farce von einem Entsatz aufgekreuzt ist. Und ich versichere dir, dass aus der billigen Farce Horror wird.
He, ihr!« Er nickte den Knechten und Akoluthen zu. »Das Mädchen mit Dwimerit fesseln, in der Zelle einschließen, dreifach verriegeln, keinen Schritt von der Tür gehen. Ihr haftet mit euren Köpfen für sie. Verstanden?«
»Jawohl, Herr.«
Sie kamen in einen Korridor, von dort in einen großen Saal voller Skulpturen, eine wahre Glyptothek. Niemand vertrat ihnen den Weg. Sie sahen nur ein paar Knechte, die bei ihrem Anblick sofort flohen.
Sie liefen eine Treppe hinan. Cahir zertrümmerte mit einem Fußtritt eine Tür, Angoulême stürzte mit einem Kriegsschrei in das Zimmer, schlug mit einem Säbelhieb den Helm von einer bei der Tür stehenden Rüstung, die sie für einen Wachposten gehalten hatte. Sie erkannte den Irrtum und brach in lautes Gelächter aus. »He, he, he! Seht doch …«
»Angoulême!«, rief Geralt sie zur Ordnung. »Nicht stehen bleiben! Weiter!«
Vor ihnen öffnete sich eine Tür, dahinter tauchten undeutlich Silhouetten auf. Ohne zu überlegen spannte Milva den Bogen und schoss. Jemand schrie auf. Die Tür wurde geschlossen, Geralt hörte, wie ein Riegel einschnappte.
»Weiter, weiter!«, rief er. »Nicht stehen bleiben!«
»Hexer«, sagte Regis. »So herumzulaufen ist sinnlos. Ich gehe … fliege auf Erkundung.«
»Flieg.«
Der Vampir verschwand wie weggeweht. Geralt hatte keine Zeit, sich zu wundern.
Wieder trafen sie auf Menschen, diesmal bewaffnete. Cahir und Angoulême sprangen schreiend auf sie zu, und die Leute ergriffen die Flucht, anscheinend vor allem wegen Cahir mit seinem beeindruckenden Flügelhelm.
Sie kamen auf einen Kreuzgang, eine Galerie, die um ein inneres Vestibül lief. Von dem ins Innere des Schlosses führenden Portikus trennten sie vielleicht zwanzig Schritte, als auf der gegenüberliegenden Seite des Kreuzganges Gestalten erschienen. Das Echo von Schreien hallte wider. Pfeile begannen zu schwirren.
»Deckung!«, rief der Hexer.
Die Pfeile kamen als wahrer Hagel. Die Flugfedern pfiffen,die Spitzen hieben Funken aus den Statuen, schlugen Stuck von den Wänden, dass feiner Staub niederfiel.
»Runter! Hinters Geländer!«
Sie ließen sich fallen, suchten, so gut es ging, Deckung hinter den spiralförmigen, mit steinernem Blattwerk verzierten Pfeilern. Doch ganz ungeschoren kamen sie nicht davon. Der Hexer hörte, wie Angoulême aufschrie, sah, wie sie sich an den Oberarm fasste, an den augenblicklich blutdurchtränkten Ärmel.
»Angoulême!«
»Es ist nichts! Bloß ins Fleisch!«, rief das Mädchen mit nur leicht zitternder Stimme zurück und bestätigte, was er schon wusste. Wenn die Pfeilspitze den Knochen zerschlagen hätte, wäre Angoulême von dem Schock ohnmächtig geworden.
Die Bogenschützen von der Galerie schossen pausenlos, sie riefen nach Verstärkung. Ein
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