Die Depressionsfalle
geistige Gesundheit, das der Universität von Toronto zugehörig war, angeboten worden. Kurz nachdem er den Vortrag in Toronto gehalten hatte, wurde ihm mitgeteilt, dass die Zusage zurückgezogen werde. Man sei zur Einsicht gekommen, dass er als Leiter eines Forschungsprogramms nicht zum allgemeinen Profil der Universität passe. Healy gibt in seiner Darstellung der Ereignisse den Brief wieder, den ihm der Leiter derEinrichtung, David Goldbloom, geschrieben hat: âWir glauben, dass Sie grundsätzlich nicht als Leiter des akademischen Programms für Gemüts- und Angststörungen im Zentrum infrage kommen. Sie sind zwar hochangesehen wegen Ihres Wissens über die Geschichte der modernen Psychiatrie, aber wir glauben, dass Ihr Zugang mit den Entwicklungszielen der akademischen und klinischen Ressourcen, über die wir verfügen, nicht kompatibel ist. Dieser Eindruck wurde durch Ihren akademischen Vortrag im Rahmen Ihres kürzlichen Auftretens im Zentrum bestärkt.â
Diese Entscheidung löste Spekulationen darüber aus, dass Eli Lilly, die Erzeugerfirma von Prozac, ihre Finger im Spiel gehabt habe. Healy selbst war davon überzeugt, verfügte er doch über einschlägige Erfahrung. Im Frühling 2000 hatte Eli Lilly dem Hastings-Zentrum in Garrison, New York, die bis dahin groÃzügig gewährte Subvention entzogen, nachdem in der Zeitschrift des Institutes, die als führende Publikation zu bioethischen Fragestellungen gilt, eine Sondernummer über
Prozac, Entfremdung und das Selbst
erschienen war. In dieser Ausgabe wurden insgesamt 5 Artikel veröffentlicht, in denen prominente Autoren zu Wort kamen: In zweien davon wurde Prozac als wunderbare Droge beschrieben, die man nicht nur Depressiven zur Verfügung stellen solle, sondern allen, die auf seine Wirkung ansprechen würden, zwei weitere sagten aus, man solle die Anwendung auf Depression begrenzen. Der fünfte Aufsatz stammte von David Healy, der darin den Standpunkt vertrat, dass die Zuschreibung der überwiegend positiven Effekte der Substanz hauptsächlich auf der Unterschlagung negativer Erkenntnisse beruhe und die Berichterstattung mehr und mehr von Ghostwritern übernommen worden sei. Lilly zog daraufhin seine Subvention zurück und argumentierte, dass die Publikation verzerrte und unwissenschaftliche Informationen enthielte, des Weiteren leugnete der Konzern jede Einflussnahme: Die Firma übe grundsätzlich keinen Einfluss auf Personalentscheidungen der Institutionen aus, die von ihr Fördermittel empfangen würde; zu Spekulationen beziehe man grundsätzlich keine Stellung. Man muss allerdings wissen, dass die Stelle, in der Healy seinen Dienst antreten hätte sollen, von Lilly mit 1,5 Millionen Dollar gefördert wurde und das Programm, dem Healy vorstehen hätte sollen, zu 52 Prozent ausindustriellen Zuwendungen budgetiert war. Insofern schien die Argumentation der Firma nicht so recht glaubwürdig. Wie auch immer. Der Zwischenfall löste international Unruhe in der akademischen Welt aus, die Freiheit der Forschung und die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Lehre schienen infrage gestellt. Zuerst veröffentlichte die Gesellschaft der akademischen Lehrer Kanadas Unterstützungserklärungen für Healy, dann folgte ein Protestschreiben von 27 international renommierten Neuropharmakologen, unter denen sich Ex-Präsidenten der Europäischen Gesellschaft für Psychiatrie, der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft und des Amerikanischen Kollegs für Neuropsychopharmakologie befanden. Healy brachte eine Klage gegen die Universität Toronto ein, die auÃergerichtlich erledigt wurde. Der Text
Good science or good business
, der 2000 dazu geführt hatte, dass Eli Lilly seine Förderung des Hastings-Zentrums einstellte, wurde 2004 in dem Sammelband
Prozac as a way of life
wiederabgedruckt und damit einem weiteren Publikum zugänglich gemacht.
Healy hat nicht aufgehört damit, Kritik an den Praktiken der Pharmaindustrie zu üben und fungiert auch weiterhin als Experte in Prozessen, die von Betroffenen gegen die Industrie angestrengt werden. Er fungierte 2001 als Schlüsselfigur im Verfahren gegen GlaxoSmithKline und ihr Präparat Seroxat wegen eines schweren Gewaltverbrechens und 2004 als Experte in einem Hearing der Britischen Kontrollbehörde, in dem beschlossen wurde, dass Seroxat nicht an unter 18-Jährige abgegeben werden
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