Die Depressionsfalle
für die Substanz neue Anwendungsmöglichkeiten gefunden werden, die eine erneute Patentierung ermöglichen. Man kann also entweder neue Krankheiten erfinden oder neue Konsumgruppen erschlieÃen â zum Beispiel Kinder und Jugendliche. Um dem Verlust gegenzusteuern, der durch das Auslaufen des Patents von Prozac zustande kam, brachte Lilly einerseits seinen alten Renner in neuer Zubereitung als âeinmal die Woche-Dosisâ auf den Markt, und ging andererseits so weit, die Substanz umgefärbt unter dem neuen Namen Sarafem für ein neues Anwendungsgebiet â eine erfundene Krankheit â neu patentieren zu lassen, um sich dafür die Rechte bis 2007 zu sichern und um das Preisniveau hoch zu halten. Das âneueâ Sarafem wurde aus diesem Grund sogar etwas teurer verkauft als das ältere â bis auf die Farbe identische â Prozac. Dennoch â ganz konnte dieser Trick den Verlust nicht ausgleichen.
Ein âFallbeispielâ: die Vermarktung des SSRI Cipralex
Der Vermarktung des Cipralex, die gut dokumentiert ist, lässt sich entnehmen, wie einfalls- und trickreich die Pharmaindustrie vorgeht, um das Preisniveau ihrer Produkte hoch zu halten.
Die Pharmaindustrie lieà es sich einiges kosten, um den Ruf der SSRI aufrecht zu erhalten und um neue Substanzen patentieren zu lassen und auf den Markt zu bringen. Am 1. September 2009 zeichnete der Journalist Gardiner Harris in der
New York Times
die Werbemethoden nach, mit denen die Arzneimittelfirma Forest Laboratories ihrem Antidepressivum Lexapro, das in Ãsterreich und Deutschland von der Firma Lundbeck als Cipralex vertrieben wird, einen guten Platz auf dem Markt zu sichern.
Harris griff auf ein Dokument zurück, das vom Spezialkomitee des US-Senats für Altersfragen publik gemacht worden war. Es handelte sich um das Dokument âLexapro Fiscal 2004 Marketing Planâ, das ursprünglich an die 300 Seiten umfasste, von dem aber nur 88 Seiten veröffentlicht wurden, da die Firma Bedenken äuÃerte, das Gesamtdokument an die Ãffentlichkeit zu bringen. Aus der letztlich veröffentlichten Version ging aber trotzdem hervor, welche Methoden Forest Labs angewendet hatte, um Psychiater, Allgemeinmediziner und andere Vertreter der Medizin von den Vorzügen ihre Medikamentes zu überzeugen. Im Wesentlichen ging es dabei um viel Geld.
Die Vorgängersubstanz von Lexapro war ursprünglich bereits 1998 in den USA patentiert worden, nachdem die Forest Labs die Lizenz für Citalopram, das in Europa bereits seit 1989 als Seropram bekannt ist, von Lundbeck erworben hatten und als Celexa patentieren lieÃen. Das Patent für Citalopram lief 2003 ab, und daher war die Phase, in der Celexa in den USA als patentierte Medizin unbeeinträchtigt von Generika gehandelt werden konnte, kurz. Deshalb übernahm Forest rasch die âneueâ Substanz Escitalopram, die von Lundbeck als Nachfolgesubstanz entwickelt und neu patentiert worden war, indem geringe Modifikationen am Molekül durchgeführt worden waren. Diese Neuformulierung der Grundsubstanz wurde dann eben neu als Lexapro patentiert und 2002 in den USA auf den Markt gebracht.
Einerseits hatten die Vertreter von Forest versucht, die Vorzüge der neuen Substanz hervorzuheben; Cipralex sei allen anderen Antidepressiva überlegen. Andererseits ging die FDA davon aus, dass die Vorgängersubstanz de facto gleich wirksam gewesen sei, und übertrug Forschungsergebnisse, die an Celexa gewonnen worden waren, auf Cipralex. Dies geschah selbst in einem so sensiblen Bereich wie der Zulassung der Substanz für die Behandlung Jugendlicher.
Die Neupatentierung zahlte sich auf jeden Fall aus. Der Verkauf von Lexapro erbrachte 2008 2,3 Milliarden Dollar, obwohl Generika von Celexa und anderen SSRIs auf dem Markt waren, die einen Bruchteil kosteten. Harris stellte den Vergleich an: der Monatsbedarf von Fünf-Milligramm-Tabletten Lexapro kostet in der Apotheke 88 Dollar, der vergleichbare Monatsbedarf eines Prozac-Generikums hingegen nur 15 Dollar. Forest war sogar in der Lage, den Preis desArzneimittels nach oben zu korrigieren, um einen Gewinnverlust aus sinkendem Gebrauch auszugleichen. Befragungen bei Ãrzten ergaben, dass die Substanz, unabhängig von ihrem hohen Preis, sehr oft verschrieben wurde, weil die Ãrzte sie einfach für das beste Antidepressivum hielten.
Kritiker der Industrie meinen jedoch, dass die Verordnungspraxis mit dem
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