Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
einer Fernsehreportage («Wiedersehen mit Schlesien«) polenfreundliche Reiseeindrücke schilderte, protestierte BdV-Präsident Hans Krüger: »Das Heimatrecht ist ein Grundrecht und kann auch nicht durch Zoologen verwässert werden.« Krüger musste 1964 wegen seiner Nazi-Vergangenheit als Vertriebenenminister zurücktreten.
»An mangelnder Heimatliebe … lag es wahrlich nicht, dass ich mich fernhielt von jenen Leuten, die der Volksmund als Berufsflüchtlinge bezeichnete«, schrieb der aus der Tschechoslowakei ausgesiedelte Publizist Kurt Nelhiebel. Vielmehr sei er »verärgert« gewesen, »unter den Verbandsfunktionären immer häufiger Gestalten zu entdecken, die Hitler in die Hände gearbeitet und damit den Krieg mit verursacht hatten«.
Mit ihrer Denkschrift »Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn« ebnete die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1965 den Weg für eine Verständigung mit Polen. Während sich die Vertriebenenverbände empörten, förderte die Denkschrift in der Großen Koalition seit 1966 eine Neuausrichtung der westdeutschen Ostpolitik. Kurz nach Veröffentlichung der EKD-Denkschrift luden die katholischen Bischöfe Polens ihre deutschen Amtsbrüder zur Mitfeier des Millenniums der Christianisierung ihres Landes im Jahr 1966 ein. Trotz einer »fast hoffnungslos mit Vergangenheit belasteten Lage« boten sie in einem Brief an: »Versuchen wir zu vergessen … Wir gewähren Vergebung und bitten
um Vergebung.« Die deutschen Bischöfe ergriffen die ausgestreckten Hände, der BdV hingegen blieb stumm.
Die kirchlichen Initiativen trugen wesentlich dazu bei, das politische Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Polen zu entkrampfen. Erster sichtbarer Erfolg war der Warschauer Vertrag 1970.
Als Willy Brandt (SPD) 1969 Kanzler wurde, löste er das Vertriebenenministerium auf – ein symbolhafter Schritt, der zeigen sollte, dass die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Deutschen aus Ostmitteleuropa bewältigt sei. Brandt betonte aber auch, dass »die Pflege der ostdeutschen Kultur nicht eine Sache der Verbände und Landsmannschaften« bleiben solle; vielmehr müsse man »miteinander dafür sorgen, der ganzen Nation die kulturelle und geistige Substanz der Ostgebiete zu erhalten«. Nur so könne »im Innern gewonnen werden, was draußen verloren ging«.
Versöhnen oder verhöhnen
Dauerstreit um die Vertreibungsstiftung
Von Norbert F. Pötzl
Die 2005 von der Großen Koalition vereinbarte Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« sollte zur internationalen Verständigung beitragen. Doch seither herrscht Dauerstreit um das Projekt. Ein Störfaktor von Anfang an war Erika Steinbach, seit 1998 Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV). Für viele Polen ist die CDU-Bundestagsabgeordnete die personifizierte Provokation: Sie wurde 1943 als Tochter eines Besatzungssoldaten aus Hanau und einer Mutter aus Bremen im annektierten »Reichsgau Danzig-Westpreußen« geboren, kann mithin nur bedingt als Heimatvertriebene gelten. Außerdem stimmte sie 1991 neben anderen Unionsabgeordneten gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Vorbehalte des BdV gegen die Aufnahme der »Vertreiberstaaten« Polen und Tschechien in die Europäische Union heizten die Stimmung zusätzlich an.
Zwar verzichtete Steinbach nach langen Querelen auf einen Sitz im Stiftungsrat, setzte aber für den BdV 6 statt 3 Vertreter in dem von 13 auf 21 Köpfe erweiterten Gremium durch. Zwei der stellvertretenden Mitglieder aus den Reihen des BdV fielen durch Äußerungen auf, die, so Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main und Mitglied des wissenschaftlichen Beraterkreises der Stiftung, »den Wunsch nach Versöhnung – den Stiftungszweck also – geradezu verhöhnen«. Der eine, Arnold Tölg, BdV-Landeschef in Baden-Württemberg, hatte die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter für unnötig
erklärt. Der andere, Hartmut Saenger, Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft, deutete gar die Ursachen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eigenwillig um: »Alle Großmächte« hätten im Sommer 1939 »eine erstaunliche Bereitschaft zum Krieg« gezeigt, und »besonders kriegerisch« habe sich Polen aufgeführt. Steinbach stellte sich hinter die umstrittenen BdV-Kollegen. Zu den Kriegsschuldthesen Saengers erklärte sie, »der dargestellte Sachverhalt« gehöre »zum Grundwissen eines jeden Zeithistorikers«. Patzig kommentierte
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