Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
sie, sie könne es »leider auch nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobilgemacht hat« – wobei sie unterschlug, dass dies eine Reaktion auf die Gefahr eines deutschen Angriffs war.
Historiker aus Polen und Tschechien verließen unter Protest den wissenschaftlichen Beirat, die leeren Plätze sind inzwischen wieder besetzt. Die beiden Vertreter des Zentralrats der Juden ließen ihr Mandat im Stiftungsrat zunächst ruhen.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) mahnte den Bund der Vertriebenen, das Vorhaben nicht durch »problematische Vertreter« zu gefährden. Der gebürtige Breslauer, Mitglied im Stiftungsrat, erinnerte daran, dass die 2008 per Gesetz geschaffene Stiftung nicht mehr das einst vom BdV initiierte »Zentrum gegen Vertreibung« sei, »wie es Frau Steinbach wollte«, vielmehr sei es »jetzt ein Projekt des Bundes«.
Annäherung in Amnesie
Bereits 1950 erkannte die DDR die Oder-Neiße-Linie als »Friedensgrenze« zu Polen an und verdrängte die Geschichte der verlorenen Gebiete.
Von Uwe Klußmann
Der Jubel war sorgfältig inszeniert. Im Schritttempo fuhr der Dienstwagen des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl am 6. Juli 1950 auf einer hölzernen Behelfsbrücke von Görlitz ans Ostufer der Neiße. Dort hieß Polens Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz seinen Amtskollegen »auf unserem Boden« willkommen. »Mit unbeschreiblicher Begeisterung«, so das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland«, begrüßten Zehntausende Polen die deutschen Gäste und riefen »Pokój! Pokój!« (Frieden! Frieden!).
Die Polen hatten allen Grund zur Freude. Der DDR-Regierungschef war gekommen, die 1945 auf der Potsdamer Konferenz beschlossene Grenzziehung an Oder und Lausitzer Neiße als endgültig anzuerkennen. In Zgorzelec, wie die Polen den früheren Ostteil von Görlitz umbenannt hatten, unterzeichneten Grotewohl und Cyrankiewicz im »Kulturhaus«, der von Kaiser Wilhelm II. eingeweihten Oberlausitzer Ruhmeshalle, ein Grenzabkommen. Darin hieß es, »dass die festgelegte und bestehende Grenze die unantastbare Friedens- und Freundschaftsgrenze ist, die die beiden Völker nicht trennt, sondern einigt«.
Um den Anbruch einer neuen Ära zu feiern, hatte die SED Tausende Genossen und Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) nach Zgorzelec gebracht zu einer »deutsch-polnischen
Kundgebung«. Deren Teilnehmer jubelten, als Grotewohl am Schluss seiner Rede den eigentlichen Grenzarchitekten rühmte: »Es lebe der Freund aller friedlebenden Menschen der ganzen Welt: Josef Stalin.«
Den meisten Bewohnern von Görlitz und Umgebung hingegen, wo Flüchtlinge und Vertriebene 40 Prozent der Bevölkerung ausmachten, war nicht nach Freudengeschrei zumute. Noch 1955 vermerkte die SED intern, es gebe im Raum Görlitz und im gesamten Bezirk Dresden »unter allen Schichten der Bevölkerung noch Unklarheiten und teilweise feindliche Auffassungen zur Oder-Neiße-Friedensgrenze«.
Die Gegner der Grenzziehung bekamen Schützenhilfe aus dem Westen. Die Regierung in Bonn hatte am 9. Juni 1950 angesichts der Bereitschaft der DDR, die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen, verkündet: »Die sogenannte Regierung der Sowjetzone hat keinerlei Recht, für das deutsche Volk zu sprechen. Alle ihre Abreden und Vereinbarungen sind null und nichtig.« Am 13. Juni hatten alle Fraktionen und Gruppen des Bundestags mit Ausnahme der Kommunisten eine Resolution verabschiedet gegen die »völker- und staatsrechtlich unhaltbare Behauptung, dass zwischen der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und Polen eine sogenannte Friedensgrenze festgelegt worden ist«. Als KPD-Fraktionschef Max Reimann eine Aussprache verlangte, erteilte ihm der Parlamentspräsident nicht das Wort. Weil der KPD-Politiker das Rednerpult nicht verließ, wurde er für 30 Sitzungstage aus dem Plenum ausgeschlossen.
Auch die SED demonstrierte drastisch, dass sie nicht bereit war, über das Grenzabkommen zu diskutieren. Schlagzeilen im »Neuen Deutschland« wie »Die Feinde der Oder-Neiße-Grenze wollen den Krieg!« im Juli 1950 signalisierten, dass die Partei Vertragskritiker als Fall für den Staatsanwalt betrachtete. Schon wer bei Kneipen-Diskussionen gegen die
Grenzregelung polemisierte oder gar Schriften der westdeutschen Vertriebenenverbände weitergab, musste mit mehrjährigen Haftstrafen rechnen. Vertriebene, rund ein Viertel der Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone von 1949, wurden euphemistisch als »Umsiedler« bezeichnet. Sie hatten sich zu
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