Die Diebe von Troja - ein Abenteuer um Heinrich Schliemann
Leiche
A ls Zoe schließlich keuchend und erschöpft das Haus der Familie Savvidis in Hissarlik erreichte, stand die Sonne nicht mehr hoch oben am Himmel, sondern begann sich schon langsam in Richtung Horizont zu senken. Nikos und seine Mutter waren schon vor einiger Zeit nach Hause zurückgekehrt, hatten sich mit Käse, Oliven und Wasser gestärkt, um nun ein weiteres Mal aufzubrechen.
Von Elena fehlte noch immer jede Spur.
»Was willst du denn hier?«, rief Nikos zornig, als er Zoe vor dem Haus erblickte. »Schickt Jannis dich? Wo ist er denn? Wir warten auf ihn!«
Zoe stockte. Dann erzählte sie so einfach und so leise wie möglich, was geschehen war.
»Oh nein, auch das noch! Das hat uns gerade noch gefehlt. Erst verschwindet Elena und jetzt auch noch Jannis«,rief Nikos. Als er sah, dass Zoe noch blasser wurde, fügte er schnell hinzu: »Aber natürlich holen wir ihn da raus.« Das klang zuversichtlicher, als er sich fühlte.
Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen, um seinen Bruder zu befreien, aber er hatte seiner Mutter versprochen, noch einmal mit ihr nach Elena zu suchen.
»Du kommst mit rein und wartest hier, bis ich zurück bin, versprichst du mir das?« Nikos sah Zoe streng an und sie nickte stumm.
Die Mutter hatte sich wieder an die Seite des Vaters gesetzt. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Um sich abzulenken, wandte sie sich an ihren Mann und erkundigte sich nach seinem Befinden. »Gott sei gelobt, meine Schmerzen lassen langsam nach«, sagte er leise. »Sobald wir wieder alle zusammen sind, feiern wir ein Fest. Und Spyros wird mein Ehrengast sein!«
Nikos glaubte nicht richtig zu hören. »Was sagst du da?«, fragte er seinen Vater völlig entgeistert. »Spyros der Ehrengast?«
Sein Vater nickte. »Ja, er hat mir das Leben gerettet. Hätte er nicht laut gerufen und mich gewarnt, als die Grabenwand zusammenbrach, dann wäre ich ganz bestimmt nicht zur Seite gesprungen. Dann hätte mich dieser Marmorblock zerquetscht, da bin ich mir sicher. Ohne ihn ...« Er wollte nicht weitersprechen.
Die Mutter schluchzte auf und wiederholte mehrmals: »So ein guter Junge, so ein guter Junge!«
Nikos war sprachlos. Seine Gedanken rasten: Hatten siesich in Spyros getäuscht? Wer hatte es dann auf Jannis abgesehen, wenn nicht Spyros? Wo steckte der Bruder?
Doch bevor er endlich dieser Frage nachgehen konnte, musste er zunächst noch einmal mit seiner Mutter durch alle Straßen der kleinen Ortschaft ziehen und jeden fragen, der ihnen auf der Straße begegnete: »Hat jemand unsere Elena gesehen?«
Doch auch diesmal bekamen sie immer die gleiche Antwort: »Elena? Nein, tut uns leid!«
So kehrten Mutter und Sohn nach einer Weile erschöpft und verzagt nach Hause zurück. Glücklicherweise bemerkte Stavroula in ihrer großen Sorge um die Tochter gar nicht, dass auch ihr jüngster Sohn seit Stunden nicht mehr zu Hause gewesen war. Auch das fremde Mädchen nahm sie kaum wahr.
Kaum hatte sie sich wieder zum Vater gesetzt, machten sich Nikos und Zoe aus dem Staub.
Noch bevor sich das dämmernde Licht des endenden Tages über die Landschaft legte, saßen die Kinder auf dem Rücken des Esels. Nikos schnalzte kräftig mit der Zunge, woraufhin sich das Tier in Bewegung setzte und zügig die Straße Richtung Kalifatli entlangtrabte.
Am Ortseingang banden sie den Esel an einem Baum fest und gingen zu Fuß weiter.
»Ich habe mir den Weg genau gemerkt«, erklärte Zoe und stapfte tapfer vorneweg. Trotz der sich ausbreitenden Dunkelheit schlug sie zielstrebig einen bestimmten Wegein, bog erst hier ab und dann dort, und ehe sie es sich versahen, standen Nikos und sie wieder vor dem Hof, in dem Zoe den schlafenden Jannis zurückgelassen hatte.
Das Haus war mit mehreren Nachbarhäusern über einen großen Innenhof verbunden. Eine Mauer trennte den Bereich so nach außen ab, dass es unmöglich war, irgendetwas von dem mitzubekommen, was dahinter passierte.
» Sto dialo – z um Teufel!«, fluchte Nikos leise. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was sich dort drinnen abspielte.
Zoe und er schlichen an der Mauer entlang, doch an keiner Stelle bot sich eine Möglichkeit, hinüberzusehen oder gar auf die andere Seite, in den Hof, zu gelangen. Alles war still. Wo bloß mochte Jannis sein? Es gab so viele Stellen, ihn innerhalb dieses Geländes versteckt zu halten.
»Was ist denn das?«
Sie waren dem Verlauf der Hofmauer mehr tastend als sehend gefolgt und standen nun zu ihrer Überraschung vor einem seltsamen
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