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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Untermalung der automatischen Orgeln.
    In gebührendem Abstand folgte die Prozession. Zuerst der Sprecher des Unterhauses, dem zwei Herolde mit weißen Stäben, aber in Trauerkleidung, vorausgingen. Der Sprecher war ganz großartig. Er schritt langsam und fest dahin, sehr würdig und unbewegt; beinahe das Gesicht einer ägyptischen Statue. Vor ihm wurde das Zepter getragen, und er war in ein sehr feines, mit Goldborten besetztes Gewand gekleidet. Dann die Minister; der Kolonialminister, sehr elegant. Der Vizekönig von Indien scheint sich von seiner Malaria erholt zu haben. Der Vorsitzende des Freihandelsausschusses glich der personifizierten Schlechtigkeit, wie begraben unter einer Last schimpflicher Schuld.
    Dann das Oberhaus. Der Lordkanzler absolut grotesk, und dies noch verstärkt durch die Riesengestalt des Stabträgers mit Silberkette und großen weißen Seidenschleifen auf den Schultern. Lord Babbage, blass und aufrecht, höchst würdevoll. Der junge Lord Huxley, schlank, leichtfüßig, eine glänzende Erscheinung. Lord Scowcroft, die flatterhafteste Person, die ich je gesehen habe, in fadenscheinigen Kleidern wie ein Totengräber.
    Der Sarg kam feierlich daher, aber es sah aus, als hielten die Träger sich schwächlich daran fest. Prinzgemahl Albert war der erste unter ihnen, und sein Gesicht zeigte den merkwürdigsten Ausdruck widerstreitender Empfindungen – Pflichtgefühl, Würde und Unbehagen. Wie ich hörte, murrte er während der Totenwache auf Deutsch über den Gestank.
    Als der Sarg hereingetragen wurde, sah die verwitwete Eiserne Lady tausend Jahre alt aus.

Die verwitwete eiserne Lady
    Nun also fällt das Land in die Hände der Mittelmäßigen, der Heuchler und Buchhalter.
    Man braucht sie nur anzusehen: Sie haben nicht das Zeug für das große Werk. Sie werden es verpfuschen.
    Ach, selbst jetzt noch könnte ich alles zurechtrücken, wenn die Dummköpfe nur auf die Vernunft hören würden, aber ich konnte niemals reden wie du, und auf Frauen hören sie nicht. Du warst ihr großer Redner, ein aufgeblasener und angemalter Marktschreier ohne eine wirkliche Idee im Kopf – keine Begabung für Logik, nichts als deine posierende Bosheit, und doch hörten sie auf dich. Und wie sie auf dich hörten! Du schriebst deine albernen Gedichtbände, du priesest Satan und Kain und Ehebruch und jede Form von böser Torheit, und die Dummköpfe konnten nicht genug davon bekommen. Sie stürmten die Buchhandlungen. Und Frauen warfen sich dir zu Füßen, ganze Regimenter. Ich tat das nie. Aber schließlich hattest du mich geheiratet.
    Ich war damals unschuldig. Seit du um meine Hand anhieltest, wehrte sich ein moralischer Instinkt in mir gegen deine schlauen Hänseleien, deine verhassten Zweideutigkeiten und Anspielungen, aber ich sah vielversprechende Qualitäten in dir und überwand meine Zweifel. Wie rasch erwecktest du sie als mein Ehemann wieder zum Leben!
    Grausam nutztest du meine Unschuld aus; du machtest mich zum Teil deiner sodomitischen Neigungen, bevor ich die Natur dieser Sünde überhaupt kannte; bevor ich die verhüllenden Worte für das Unaussprechliche lernte. Paederastia, manustupratio, fellatio – du warst so verstrickt in widernatürliche Laster, dass du nicht einmal das Ehebett von ihnen ausnehmen konntest. Du beflecktest und verdarbst mich, wie du vor mir deine eigene törichte Schwester befleckt und verdorben hattest.
    Wenn die Gesellschaft nur ein Zehntel dessen erfahren hätte, was ich wusste, wärst du wie ein Leprakranker aus England vertrieben worden. Zurück nach Griechenland, zurück in die Türkei und zu deinen widernatürlichen Lastern.
    Wie leicht hätte ich dich damals ruinieren können, und ich war nahe daran, es zu tun, denn es kränkte mich schwer, dass du die Tiefe meiner Überzeugung weder erkanntest noch etwas davon wissen wolltest. Ich suchte dann Zuflucht in meiner Mathematik und blieb stumm, wünschte noch immer, in den Augen der Gesellschaft eine gute Ehefrau zu sein, denn ich hatte Verwendung für dich – und ein großes Werk zu tun, das ich nur durch meinen Mann vollenden konnte. Denn ich hatte den wahrhaften Weg zum größten Wohl für die größte Zahl erblickt, und dieses Gemeinwohl war ein so hohes Ziel, dass meine eigenen bescheidenen Wünsche daneben zur Belanglosigkeit verkamen.
    Charles war mein Lehrmeister. Der anständige, brillante, weltfremde Charles, in jeder Hinsicht das Gegenteil von dir; so erfüllt von großen Plänen, dem reinen Licht der mathematischen

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