Die Dilettanten
für Gesetzestexte gebührt, ist dabei zweitrangig.
Mitte Juni 2008 schanzt Tiefensees Ministerium natürlich völlig ohne sein Wissen seinem Bruder im Geiste Hartmut Mehdorn astronomische Bonuszahlungen für den Börsengang zu. Ende Oktober meldet dann der
Spiegel
unter Vermeidung des Wortes Lüge: »Tiefensee blamiert sich mit Fehlinformationen.« Selbst sein Sprecher Rainer Lingenthal habe eingeräumt, dass Tiefensee »zumindest schon Mitte September über die Erfolgsprämien im Bilde war – und nicht, wie bislang behauptet, erst seit ein oder zwei Wochen«. Die Entlassung des Staatssekretärs Matthias von Randow wurde denn auch allgemein als »Bauernopfer« gewertet.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Rücktrittsforderungen seitens der Opposition ein wenig heuchlerisch: Einen besseren Wahlhelfer kann sie sich kaum wünschen.
Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen), Pädagogikmagistra, Fraktionsvize
Der neoliberale Augenaufschlag
Christine Scheel, geboren am 31. Dezember 1956 in Aschaffenburg, ist ein Routinier der grünen Versorgungskarawane. 1983 macht sie ihren Magister in den damals brotlosen Fächern Pädagogik, Soziologie und Psychologie. Also beschließt sie, Politikern zu werden, und tritt den Grünen bei, was ihr sofort den Vorsitz im Kreis Aschaffenburg einbringt. Schon 1984 ist sie Kreisrätin, 1986 im Bayerischen Landtag und als-bald Fraktionschefin. Ab 1994 ist sie im Bundestag und finanzpolitische Parteisprecherin, von 1998 bis 2005 gar Chefin des Bundestagsfinanzaus schusses, ab 2007 Fraktionsvize.
Dass eine verhinderte Lehrerin zur unangefochtenen Finanzexpertin einer Bundestagspartei aufsteigen kann, ist nur erklärlich durch die sprichwörtliche komplette wirtschaftspolitische Unbedarftheit der Grünen. Schließlich ist ihr einziger Gegenspieler lange Zeit jemand wie der inzwischen auch bei der CDU gescheiterte Jurastudienabbrecher Oswald Metzger, der ihr »Substanz in der Finanzpolitik« bescheinigt. 175
Christine Scheel verbindet das Know-how einer tüchtigen Buchhalterin mit der Selbstinszenierungsgabe einer Heidi Klum. Und sie ist im Arbeitergeberlager wohl gelitten: Schon 2000 erhält sie den Mittelstandspreis der
Union mittelständischer Unternehmen
, der auch Politiker wie Edmund Stoiber und Roland Koch schmückt.
Warum aber ist Scheel in diesen Kreisen so beliebt?
Dominik von Glas beschreibt in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
ihren Auftritt vor Vertretern der bayerischen Druck- und Medienindustrie im März 2003 so: »Wir verstehen uns schon, gell. Verständnistief kopfnickende Herren in dunklemTuch, vor ihnen am Rednerpult eine agile blonde Dame in transparentem schwarzem Spitzenröckchen, mit schicker weinroter transparenter Bluse. ›Ich muss mich doch schön machen, wenn ich vor Unternehmern spreche‹, hatte sie vorher mit nur begrenzt ironischem Unterton gesagt.« 176
»Frau Scheel« würde es im Loriot-Sketch wohl heißen, »Sie verstehen etwas von Männern« – und von leidenschaftlichen Plädoyers für neoliberalen Unfug 177 , vor allem gegen die Vermögens steuer 178 und den gesamten Sozialstaat. 179 Für »Politik« dieses Niveaus allerdings könnte Frau Scheel von Beruf auch Club-Animateurin oder Fernsehköchin sein.
Natürlich sitzt Scheel auch im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau; aber stünde sie deshalb vor dem Kadi, so würde ihr das Gericht vermutlich verminderte Schuldfähigkeit wegen totaler Inkompetenz, triebhafter Veranlagung zu Sozialexhibitionismus (
Morbus Talki
) und Politkarrierismus zubilligen. Eine Lehrerin kann ebenso wenig die Strukturen der Heuschreckenkriminalität durchschauen wie ein Archäologe die Quantenmechanik.
Übrigens ist die Berufsbezeichnung
Pädagogin
ihr selbst inzwischen offenbar peinlich. In ihrer Biographie auf der Internet-seite des Bundestags nennt sie sich jetzt »Autorin«. Und wenigstens das ist sachlich richtig.
Und auch in Sachen Nebeneinkünfte lässt sie es offenbar ruhiger angehen. Noch immer hängt ihr der Skandal vom Dezember 2003 an, als die Grünen von Scheels Mitgliedschaft in Beiräten der Versicherungswirtschaft erst aus der Zeitung erfahren und Jürgen Trittin sofort die Verbindung zu Scheels Ablehnung der Vermögenssteuer herstellt: Dass sie »zu den großen Nebenverdienern gehört«, habe »ihrer Position nicht gutgetan« und »bei einigen in der Partei Kopfschütteln und Empörung ausgelöst«. 180 Daraufhin verlässt Scheel die Beiräteder
Barmenia
und
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