Die Doppelgaengerin
den verbalen Fehdehandschuh nicht auf. »Nach einem Mord versuchen wir zu kontrollieren, welche Informationen an die Presse herausgegeben werden, aber manchmal ist das nicht möglich. Im Zug unserer Ermittlungen müssen wir mit vielen Leuten sprechen und sie fragen, ob jemand in der Nähe des Tatorts einen Mann in einer dunklen Viertürer-Limousine gesehen hat. Damit haben wir bereits begonnen. Natürlich versuchen wir, die Reporter vom Tatort fern zu halten, aber sie standen mit ihren Teleobjektiven und Kameras gleich hinter der Absperrung.«
»Und?« Ich wusste immer noch nicht, was er damit sagen wollte.
»Man muss kein Genie sein, um zwei plus zwei zusammenzuzählen und zu erkennen, dass du eine wichtige Zeugin bist. Wir waren in deinem Studio, du bist in meinem Wagen weggefahren …«
»Nach dieser Szene glauben sie wahrscheinlich, dass ich verhaftet worden bin.«
Ein Mundwinkel zuckte bei der Erinnerung an den Ringkampf vor seinem Auto nach oben. »Nein, wahrscheinlich glauben sie nur, dass du nach diesem Erlebnis sehr aufgebracht warst.« Er klopfte wieder mit dem Stift auf die Tischplatte. »Wir können nicht verhindern, dass dein Name genannt wird. Wenn ein Verdächtiger beobachtet wurde, muss es logischerweise einen Zeugen oder eine Zeugin geben. Wer du bist, ist kein Geheimnis. Es wird morgen alles in der Zeitung stehen.«
»Warum ist das ein Prob – ach so.« Ich würde in der Zeitung als Mordzeugin genannt. Die Person, der das am unangenehmsten wäre, war niemand anderes als der Mörder selbst. Und was tut ein Mörder, um sich zu schützen?
Er ermordet denjenigen, der ihn bedroht, das tut er. Ich starrte ihn mit offenem Mund an. »Scheiße. «
»Ja«, nickte er. »Genau das denke ich auch.«
5
Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Na gut, mindestens sechs oder sieben, denn tausend Gedanken sind eine ganze Menge. Wer mir nicht glaubt, kann gern die eigenen Gedanken zählen und mal sehen, wie lange es dauert, um auf tausend zu kommen. Trotzdem gefiel mir kein einziger davon.
»Aber ich bin nicht mal eine gute Zeugin!«, jammerte ich. »Ich würde den Mann nicht erkennen, selbst wenn mein Leben davon abhängen würde.« Auch das war kein guter Gedanke, weil genau das passieren konnte.
»Das weiß er nicht.«
»Vielleicht war er ihr Geliebter. Der Täter ist doch in den meisten Fällen der Ehemann oder der Geliebte, nicht wahr? Vielleicht war es ein Verbrechen aus Leidenschaft, und er ist eigentlich gar kein richtiger Mörder und gesteht sofort, wenn ihr ihn festnehmt.« Das war doch nicht ausgeschlossen, oder? Oder zu viel verlangt?
»Vielleicht«, sagte er, doch seine Miene war nicht besonders hoffnungsvoll.
»Aber wenn es doch nicht ihr Freund war? Wenn es um Drogen oder so etwas ging?« Ich sprang auf und begann in seinem Büro auf und ab zu gehen, wo es eigentlich viel zu eng und viel zu unaufgeräumt zum Auf- und Abgehen ist und viel zu viele Aktenschränke und Bücherstapel den Weg versperren. Ich lief eher Slalom als auf und ab. »Ins Ausland kann ich nicht fahren. Du lässt mich nicht mal die Stadt verlassen, was unter diesen Umständen echt schäbig von dir ist, das ist dir doch klar, oder?«
Nicht, dass er mich aufhalten konnte, erkannte ich, denn dazu musste er mich verhaften oder in Schutzhaft nehmen, und da ich den Mörder nicht identifizieren konnte, würde er kaum einen Richter überzeugen können. Warum hatte er mir dann befohlen, in der Stadt zu bleiben? Und warum wollte er das überhaupt, wenn die naheliegendste, klügste Reaktion darin bestand, Hals über Kopf aus der Stadt zu verschwinden?
Er ignorierte meinen Kommentar zu seiner Ermahnung. »Es spricht manches dafür, dass du Recht hast und Ms. Goodwin aus persönlichen Motiven ermordet wurde. Wenn wir Glück haben, ist der Fall in ein, zwei Tagen abgeschlossen.«
»In ein, zwei Tagen«, wiederholte ich. In ein, zwei Tagen konnte eine Menge passieren. Zum Beispiel könnte ich sterben. Ich würde auf gar keinen Fall auf meinem Allerwertesten sitzen bleiben und auf meinen Mörder warten. Ganz egal, was Lieutenant Bloodsworth von mir erwartete, ich würde die Stadt verlassen. Scheiß auf seine Erlaubnis, die ich mit Sicherheit sowieso nicht brauchte; bis er gemerkt hätte, dass ich weg war, wäre es bereits zu spät. Ich würde Siana bitten, ihn anzurufen und ihm auszurichten, dass er sich an sie wenden sollte, falls er mich brauchte, weil ich meiner Familie natürlich schon verraten würde, wo ich steckte. Das
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