Die Doppelgaengerin
Great Bods würde ohnehin ein, zwei Tage zu bleiben müssen, warum sollte ich also keinen Kurzurlaub einlegen? Ich hatte meinem inneren Strandhäschen seit Jahren keinen Auslauf mehr gegeben; ein Besuch am Meer war längst überfällig.
Sobald ich heimkam, würde ich ein paar Stunden schlafen, sofern ich das konnte. Wenn nicht, würde ich sofort packen. Und sobald mir mein Auto gebracht wurde, war ich weg.
»Ich habe keine Streifenbeamten übrig, um dich beschützen zu lassen, und ich könnte sowieso keine Überwachung rechtfertigen, solange keine akute Bedrohung vorliegt – ganz zu schweigen davon, dass du keine richtige Zeugin bist, weil du niemanden identifizieren kannst.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und fixierte mich nachdenklich. »Ich werde eine Presseerklärung herausgeben, dass ein weiterer ›ungenannter Zeuge‹ einen Mann am Tatort beobachtet hätte. Damit müsstest du aus der Schusslinie sein.«
»Hey, das klappt bestimmt!« Auch wenn ich an seiner Wortwahl einiges auszusetzen hatte, schöpfte ich augenblicklich neuen Mut. Wenn es nicht nur eine einzige Zeugin gab, dann würde es dem Täter nichts bringen, mich umzubringen, oder? Nicht, dass ich hier bleiben und mich davon überzeugen würde. Seit mir der Gedanke mit dem Strand gekommen war, freute ich mich auf ein paar schöne faule Tage am Meer. Letztes Jahr hatte ich mir einen scharfen türkisfarbenen Bikini zugelegt, den ich noch kein einziges Mal getragen hatte. Tiffany – mein inneres Strandhäschen – schnurrte schon vor Freude.
Ich stand auf, griff mir den Notizblock, ehe er es verhindern konnte, und riss das oberste Blatt ab. Als würde ich die Liste seiner Verfehlungen vergessen, oder? Während ich die Seite säuberlich zusammenfaltete, sagte ich: »Du kannst mich jetzt gehen lassen. Ganz im Ernst, Lieutenant Bloodsworth, das alles hättest du mir auch im Great Bods erzählen können. Es war wirklich nicht nötig, dass du mich vor allen Leuten demütigst und aufs Revier schleifst, nur um zu beweisen, was für ein toller Macho-Bulle du bist.« Ich grunzte wie Tim Allen in »Hör mal, wer da hämmert«, was ich besser nicht getan hätte.
Er sah mich nur lächelnd an und krümmte den Zeigefinger. »Her damit.«
Ich schnaubte. »Vergiss es. Glaubst du ernsthaft, ich würde nicht mehr wissen, was auf der Liste steht, nur weil du sie in Fetzen reißt?«
»Darum geht es nicht. Gib sie her.«
Stattdessen steckte ich sie in die Handtasche und zog den Reißverschluss zu. »Worum geht es dann? Mir entgeht da offenbar was.«
Er stand mit einer geschmeidigen, kraftvoll flüssigen Bewegung auf, die mir ins Gedächtnis rief, wie trainiert er war. »Es geht darum«, sagte er, während er hinter dem Schreibtisch vorkam und mir seelenruhig die Handtasche abnahm, »dass dir jeder Mann wahrscheinlich sogar einen Mord verzeihen würde – im übertragenen Sinn natürlich –, nur weil du so verflucht süß bist, aber ich dieses Spielchen nicht mitmachen werde. Du bist hier in meinem Büro, und wenn ich sage, gib mir die Liste, dann wirst du sie freiwillig hergeben, oder ich werde sie dir abnehmen müssen. Darum geht es.«
Ich schaute ihm zu, wie er meine Handtasche öffnete, die Liste herausholte und sie sofort in seiner Hosentasche versenkte. Ich hätte noch einmal meine gute Kinderstube vergessen und mich wehren können, aber selbst wenn ich gewonnen hätte – was wenig wahrscheinlich war –, hätte ich die Liste nur zurückholen können, wenn ich in seine Hose gefasst hätte, und so blöd bin ich bestimmt nicht. Es war eindeutig schlauer, diese Schlacht nicht zu schlagen. Stattdessen zuckte ich die Achseln. »Dann schreibe ich eben eine neue, sobald ich zu Hause bin, was ich übrigens seit über einer Stunde sein könnte. Du solltest daran arbeiten, nicht immer alles persönlich zu nehmen, Lieutenant Bloodsworth.« Ich nannte ihn absichtlich nicht Wyatt, weil ich wusste, dass es ihn ärgerte. »In deinem Job könnte das zu einem echten Problem werden.«
»Was zwischen uns abläuft, ist ganz eindeutig persönlich«, feuerte er zurück und drückte mir gleichzeitig die Handtasche in den Arm.
»Nein danke. Kein Interesse. Tut mir Leid. Darf ich jetzt bitte nach Hause gehen?« Vielleicht musste ich nur oft genug fragen, bis er meine Frage irgendwann satt bekam. Ein dickes Gähnen unterstrich das Satzende, und ich schwöre, dass es nicht gespielt war. Ich hielt zwar die Hand vor den Mund, aber es war ein echtes Kieferausrenkergähnen, das
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