Die Doppelgaengerin
Können wir nicht so tun, als seist du ein Vampir und könntest nicht ins Haus kommen, solange ich dich nicht hereingebeten habe?«
»Du hast mich schon mal ins Haus gebeten, hast du das vergessen?«
Ach ja. Auch wieder wahr. »Ich habe mich neu eingerichtet. Damit gilt die Einladung nicht mehr. Und jetzt hau ab.«
»Tu ich. Ich bin auch ziemlich fertig. Du hast dich neu eingerichtet, wie? Was hat dich an der alten Einrichtung gestört?«
Ich verdrehte die Augen. »Wie schön, dass du dich so für Innenarchitektur interessierst. Und jetzt hau ab. Aber vergiss nicht jemanden zu beauftragen, der mir morgen früh mein Auto bringt, okay? Ohne Auto sitze ich fest.«
»Ich werde mich darum kümmern.« Und im nächsten Moment hatte seine Hand mein Kinn umfasst, während sein Daumen sacht meine Lippen nachfuhr. Ich zog meinen Kopf aus seinem Griff und hielt ihn mit Mörderblick auf Distanz, aber er lachte nur. »Ich wollte dich nicht küssen. Jedenfalls noch nicht. Selbst wenn uns zu dieser nachtschlafenden Stunde – oder eher so kurz vor dem Morgengrauen – niemand sehen sollte, sollten wir doch lieber warten, bis wir irgendwo ungestört sind und beide etwas Schlaf hatten. Ich weiß schließlich, wie schnell du deine Kleidung abwirfst, wenn ich dich küsse.«
Das hörte sich so an, als würde ich jedes Mal aus dem Höschen hüpfen, sobald er mich nur berührte. Ich schenkte ihm ein giftig süßes Lächeln. »Ich weiß was Besseres. Warum stopfst du dir nicht …«
»Oh-oh«, warnte er mich und legte mir einen Finger auf die Lippen. »Du möchtest doch nicht, dass dich deine vorlaute Klappe in Schwierigkeiten bringt. Geh einfach ins Haus, schließ hinter dir ab und leg dich ins Bett. Wir sehen uns später.«
Niemand kann mir nachsagen, dass ich einen guten Rat nicht zur Kenntnis nehmen würde. Ich nehme ihn immer zur Kenntnis; ob ich ihn befolge, ist ein anderes Kapitel. In diesem Fall jedoch war ich so schlau, schweigend ins Haus zu huschen und die Tür hinter mir zu verriegeln, genau wie er mir geraten hatte. Klar, er glaubte vielleicht, dass ich seinen Anweisungen folgte, aber in diesem Fall stimmten seine Anweisungen zufällig mit dem überein, was mein Überlebensinstinkt diktierte.
Ich knipste das Licht in der Küche an und wartete hinter der Tür ab, bis sein Auto weggefahren war. Erst dann schaltete ich die Außenbeleuchtung aus. Eine Weile blieb ich in meiner gemütlichen Küche stehen und ließ alles, was in dieser Nacht passiert war, auf mich einstürzen.
Die Welt kam mir irgendwie unwirklich vor, so als hätte ich mich aus diesem Universum verabschiedet. Meine Umgebung war die gleiche wie immer, aber sie erschien mir irgendwie fremd, fast so, als würde sie jemand anderem gehören. Ich war gleichzeitig todmüde und überreizt, keine besonders tolle Kombination.
Zuerst schaltete ich in allen Zimmern im Erdgeschoss sämtliche Lichter an und kontrollierte die Fenster, die alle fest verriegelt waren. Die Türen genauso. Von der Essnische führt eine doppelte Glastür auf die überdachte Terrasse, deren Pfeiler und Deckenbalken ich mit Leuchtgirlanden umwickelt habe. Auch in den jungen Bradford-Birnbäumen habe ich Lichterketten aufgehängt. Ich schalte die Lichter praktisch immer ein, wenn ich abends daheim bin, weil ich den Anblick liebe, aber heute fühlte ich mich hinter dem vielen Glas bloßgestellt und zog sofort die schweren Vorhänge vor der Terrassentür zu.
Nachdem ich die Alarmanlage eingeschaltet hatte, tat ich endlich das, was ich schon seit Stunden tun wollte. Ich rief meine Mom an.
Natürlich ging Dad ans Telefon. Der Apparat steht auf seinem Nachttisch, weil Mom nur ungern nachts telefoniert. »Hallo?« Sein verschlafenes Gebrumm war kaum zu verstehen.
»Dad, ich bin’s, Blair. Es gab heute Abend einen Mord auf dem Parkplatz hinter meinem Studio, und ich wollte euch nur wissen lassen, dass mir nichts passiert ist.«
»Einen – was? Hast du Mord gesagt?« Er klang sofort viel wacher.
»Ein Mitglied des Studios wurde auf dem Angestelltenparkplatz umgebracht« – im Hintergrund hörte ich Moms scharfe Stimme sagen »Gib mal her« , und ich wusste, dass seine Herrschaft über den Hörer nur noch Sekunden währen würde –, »um kurz nach neun, und ich – Hallo, Mom.«
»Blair. Ist dir was zugestoßen?«
»Mir ist nichts passiert. Ich hätte nicht angerufen, aber ich wollte nicht, dass ihr es aus der Zeitung erfahrt, und ich wollte euch nur sagen, dass es mir gut geht.«
»Gott sei
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