Die Dornenvögel
Als Meggie nach ihr rief, kam Fee sofort und nahm den Hörer. »Fiona Cleary am Apparat«, sagte sie und lauschte dann, während aus ihrem Gesicht nach und nach alle Farbe zu entweichen schien. Wie damals nach Paddys und Stuarts Tod sah sie aus, hilflos, verletzlich. »Danke«, sagte sie schließlich und legte auf. »Was gibt es, Mum?«
»Frank ist entlassen worden. Er soll heute nachmittag mit dem Zug kommen.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich muß bald losfahren. Es ist schon nach zwei.«
»Laß mich mitkommen«, sagte Meggie. Sie begriff nur zu gut. daß die Wiederbegegnung mit Frank für ihre Mutter alles andere als leicht werden würde.
»Nein, Meggie«, sagte Fee. »Es wird schon gehen. Kümmere du dich nur um die Angelegenheiten hier und warte mit dem Dinner, bis ich wieder da bin.«
»Ist das nicht wunderbar, Mum? Frank kommt gerade zu Weihnachten nach Hause!« »Ja«, sagte Fee, »das ist wunderbar.«
Heutzutage reiste kaum noch jemand mit dem Zug, wenn es sich einrichten ließ, mit dem Flugzeug zu fliegen. Und so kam es, daß nach rund tausend Kilometern von Sydney her nur noch wenige Fahrgäste übrig waren.
Nicht ohne ein gewisses Erstaunen betrachtete der Bahnhofsvorsteher von Gillanbone die ältere Dame, die auf dem Perron auf den Zug wartete. Natürlich kannte er sie vom Sehen, die Mrs. Fiona Cleary, wenn auch nur flüchtig. War ja ganz verblüffend, wie dieses alte Mädchen sich doch hielt. Erstens die Kleidung: gar nicht altmodisch, sondern sehr modern, sogar hochhackige Schuhe hatte sie an. Na, und zweitens sie selbst: eine noch ganz erstaunlich gute Figur und gar nicht so viele Falten im Gesicht, bei dem Alter. Aber das bewies nur mal wieder, was für ein leichtes Leben diese Viehzüchterfamilien doch hatten.
So konnte es kaum verwundern, daß Frank schneller das frühere Bild seiner Mutter wiederfand, als sie seines. Er war jetzt zweiundfünfzig, und eine Verbindung herzustellen zwischen diesem Mann mittleren Alters und jenem jungen Menschen von damals fiel ganz und gar nicht leicht.
Der Mann, der im Schein der untergehenden Sonne auf dem Bahnsteig stand, wirkte zu dünn, fast schon hager, und sehr blaß. Die Kleidung umschlotterte gleichsam die kurzwüchsige Gestalt, und dennoch konnte man etwas von der Kraft ahnen, die in ihr steckte. Er stand weder gebeugt, noch sah er krank aus. Doch hilflos und wie völlig verloren drehte er seinen Hut zwischen den noch immer feingeformten Händen. Er schien nicht zu glauben, daß irgend jemand gekommen sein könnte, um ihn abzuholen, und offenbar wußte er nun nicht, was er tun sollte.
Fee, beherrscht wie stets, ging mit raschen Schritten auf ihn zu. »Hallo, Frank«, sagte sie.
Er hob den Kopf, und der Blick, der früher so funkeln, so blitzen konnte, wirkte fast erloschen. Die Augen im Gesicht eines alternden Mannes, ganz und gar nicht Franks Augen.
Doch als er Fee gewahrte, wurde ein eigentümlicher Ausdruck in ihnen wach, etwas unendlich Verletzbares, Wundes - fast so etwas wie das Flehen eines Sterbenden.
»Oh, Frank!« sagte sie und nahm ihn in die Arme und wiegte seinen Kopf an ihrer Schulter. »Es ist gut, es ist gut«, sagte sie, summte sie, und noch leiser und noch sanfter: »Es ist alles gut!«
Zuerst saß er schlaff und schweigend im Auto, doch nach einiger Zeit wurde dann sein Interesse wach. Er blickte durch das Fenster hinaus. »Sieht noch genauso aus wie früher«, sagte er leise. »Ja, will’s glauben. Hier draußen ändern sich die
Zeiten nicht so rasch.«
Sie fuhren über eine Holzbrücke. Unten lag der schmale, schlammige Fluß. Trauerweiden säumten seine Ufer, und der Wasserstand war so niedrig, daß über weite Strecken das Flußbett bloßlag und der Fluß selbst kaum mehr war als eine Reihe von Pfützen und Lachen. »Der Barwon«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich ihn je wiedersehen würde.«
Hinter ihnen wirbelte eine gewaltige Staubwolke hoch, vor ihnen erstreckte sich schnurgerade die Landstraße durch die baumlose Grasebene.
»Die Straße ist aber neu, Mum, nicht wahr?« Er schien verzweifelt bemüht, der Unterhaltung einen normalen Anstrich zu geben. »Ja. Man hat sie kurz nach dem Krieg gebaut. Von Gilly nach Milparinka führt sie.«
»Man hätte sie wenigstens ein bißchen asphaltieren sollen.« »Wozu? Wir sind’s hier draußen doch gewohnt, Staub zu schlucken. Und überlege nur einmal, was für unglaubliche Kosten entstanden wären. Die neue Straße ist fast überall
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