Die Drachen von Montesecco
und eindeutig«, sagte Ivan.
»Wieso sollte er denn gerade dir …?« fragte Angelo.
»Weil er seinem Sohn nicht über den Weg traute, und das völlig zu Recht, denn …«
»Hört auf!« brüllte Catia. Sie stand auf und ging zum Fenster. Draußen hatte es heftig zu regnen begonnen. Ein scharfer Wind fegte die Schauer über die Piazzetta. Sie tanzten schräg durch den honiggelben Schein der Laterne und trommelten auf dem Pflaster einen wilden Takt dazu. Dahinter war schwarzes Nichts, bis irgendwo in Richtung San Lorenzo ein Blitz fahl durch den Regenvorhang aufzuckte. Der Donner schien sich erst finden zu müssen, rollte dann langsam an, füllte die Welt, zerbarst in sich überlagernden Explosionen und ließ die Fensterscheiben zitternd aufsummen.
»Herr im Himmel, kann denn keiner von euch nachgeben?« stöhnte Catia.
»Angelo?« fragte Ivan.
»Ivan?« fragte Angelo.
Angelo saß schwer hinter dem Tisch, hatte die Ellenbogen aufgestützt. Ivan hatte sich zurückgelehnt. Mit demMittelfinger der linken Hand strich er die Tischkante entlang. Fast am Eck war vor langer Zeit eine tiefe Kerbe hineingeschnitten worden. Ivan fuhr sie mit dem Fingernagel nach. Draußen prasselte der Regen.
»Gut«, sagte Catia. »Bevor das nicht geklärt ist, steht keiner von diesem Tisch auf!«
Die Lösung, die sie schließlich fanden, hätte auch den Politikern in Rom gut zu Gesicht gestanden. Sie klammerte das Problem aus und war nicht praktikabel. Angelo und Ivan wollten eine Vereinbarung unterzeichnen, in der sie sich beide einverstanden erklärten, daß Catia zwei Millionen bekommt, egal, wem das Erbe zugesprochen würde.
»Gleich morgen früh gehen wir zur Bank«, sagte Angelo.
»Wir tun, was wir können«, sagte Ivan.
»Das genügt nicht«, sagte Catia. »Das ist viel zuwenig.«
Sowohl Angelo als auch Ivan schienen sich Catias Ermahnung in ganz eigener Weise zu Herzen zu nehmen. Beide wußten, daß keine Bank der Welt zwei Millionen Euro aufgrund einer windigen Vereinbarung zur Verfügung stellen würde, bevor die Erbfrage nicht eindeutig geklärt war. Wenn das Geld auf den Tisch mußte, um den Jungen nicht dem sicheren Tod auszuliefern, würde einer von beiden also auf seine Ansprüche verzichten müssen. Es galt sicherzustellen, daß es der andere war. Um den Druck zu erhöhen, konnte es keinesfalls schaden, die öffentliche Meinung des Dorfs auf der eigenen Seite zu haben.
Und so machten sich beide ans Werk, kaum daß sie das Pfarrhaus verlassen hatten.
Ivan hatte den strategischen Vorteil, mit seiner Bar über ein ideales Kommunikationsforum zu verfügen. Angelo mußte Klinken putzen, profitierte aber von dem Unwetter, das mehr Leute als gewöhnlich in den eigenen vier Wänden hielt. Die Türen öffneten sich ihm bereitwillig,denn natürlich war jeder neugierig, wie die Verhandlungen im Pfarrhaus abgelaufen waren. Wirklich klar wurde das allerdings nicht, vor allem für diejenigen, die in den Genuß beider Darstellungen kamen.
In Ivans Version war Angelo Sgreccia zu einem starrsinnigen Egomanen mutiert, der Realitäten einfach ableugne und nicht davor zurückschrecke, seinen verstorbenen Vater in den Schmutz zu ziehen. Vorsichtig lancierte Ivan den Gedanken, daß so einem alles zuzutrauen sei, verzichtete aber vorerst darauf, seinen Verdacht unter die Leute zu bringen, daß Angelo diese Entführung nur inszeniert habe. Vom Kartenspiel her wußte Ivan, daß es immer gut war, noch einen Trumpf in petto zu haben. Man mußte schließlich nachlegen können, wenn es nötig war.
Vielleicht weil Angelo unter dem Zwang, hart bleiben zu müssen, wirklich litt, setzte er eher auf menschliches Mitgefühl. Man könne sich kaum vorstellen, wie kalt und unnachgiebig Ivan Garzone gegenüber Catias verzweifeltem Flehen geblieben sei. Nur mit größter Mühe habe er, Angelo, ihn zu einem Kompromiß überreden können, der hoffentlich auch durchführbar sei. Wenn Minhs Schicksal aber von Ivans Entscheidungen abhängen sollte, dann sei Gott dem Jungen gnädig!
Es war schwer zu sagen, wer größeren Erfolg hatte. Mancher neigte mehr Ivan zu, andere standen eher auf Angelos Seite, doch noch schwankte die Mehrheit der Dorfbewohner. Sie hatten erkannt, welch tiefer Spalt sich zwischen den beiden aufgetan hatte. Man fürchtete, daß der Grund nirgends mehr sicher sei, wenn die Erde einmal in Bewegung geraten war. Leicht konnten sich Risse durchs ganze Dorf ausbreiten und die Narben alter, längst vergessen geglaubter Feindschaften
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