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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Knie, und er sackte zusammen, schrie nicht, mühte sich wieder hoch, belastete nur das linke Bein. Er schob die Koffer einen Meter nach vorn, stützte sich mit beiden Händen auf ihnen ab und wuchtete seinen Körper hinterher, bis er wieder auf dem linken Bein stand. Mit den Koffern als Krücken legte er zehn quälende Meter Richtung Nordwesten zurück, dann gab er auf. Einer der Jäger stand ein paar Schritte vor ihm. Er trug eine khakifarbene Jacke mit einer Menge aufgenähter Taschen und grinste schief. Sein Gewehr hielt er in Hüfthöhe. Der rechte Zeigefinger lag am Abzug, und der Lauf zeigte auf Mamadous Brust.
    Mamadou ließ sich auf den Waldboden fallen. Er hatte kaum noch genügend Kraft, um die Koffer an sich heranzuziehen. Er hätte jetzt gern geweint, so wie er als Kind manchmal geweint hatte, doch er konnte nicht.
    »Ich habe ihn!« rief der Jäger triumphierend zwei anderen entgegen, die schwer atmend zwischen den Bäumen herbeiliefen. Ja, sie hatten Mamadou, es war aus, vorbei. Sollten sie ihn doch erschießen, wenn es ihnen Spaß machte! Vorher würde Mamadou nur gern einmal in die Koffer sehen. Einen einzigen Blick auf das neue Leben werfen, das er nie führen würde. Er spürte das Leder der Koffer unter seinen Ellbogen, doch er wagte es nicht, sich zu rühren, bis alle sieben Männer um ihn herumstanden.
    »Ein Schwarzer!« sagte ein Alter aus zahnlosem Mund. »Ich habe doch gleich gesagt, daß wir es mit organisierter Kriminalität zu tun haben. Solchen Verbrechern ist alles zuzutrauen. In Bari bin ich mal mit einer Bande von Nigerianern aneinandergeraten, die …«
    »Ist gut, Franco«, unterbrach ihn ein anderer und wandte sich dann an Mamadou: »Wo ist er?«
    »Wo hältst du den Jungen gefangen?« fragte ein dritter.
    »Sag schon, du miese Ratte!« sagte ein vierter.
    Mamadou kapierte nicht, wovon sie sprachen. Es war ihm auch egal. Seine rechte Hand glitt langsam zurück, bis die Finger einen der Schnappverschlüsse des Koffers ertasteten. Er zögerte. Die Jäger taten, als debattierten sie untereinander, aber Mamadou traute ihnen nicht.
    »Der versteht uns doch überhaupt nicht«, sagte der zahnlose Alte.
    »Das ist nur ein armes Schwein, das keine Ahnung hat.«
    »Und wieso schnappt er sich dann das Geld, Ivan?«
    »Weil ihn der Entführer vorgeschickt und ihm ein paar Euro versprochen hat, wenn er ihm die Koffer abliefert.«
    »Zu riskant! Der Schwarze könnte doch leicht in Versuchung kommen, sich den Inhalt anzuschauen. Und schwupp wäre er damit drüben in Afrika!«
    »Nicht, wenn der Entführer in der Nähe ist und ihn beobachtet.« Der mit der Safarijacke sah sich um. Mamadou riskierte es. Er schob den Verschluß zurück und hustete laut, um das Klicken des Schlosses zu übertönen.
    »Wenn wir den Entführer verscheucht haben, reißt uns Catia den Kopf ab. Jedem einzelnen von uns«, sagte der Alte.
    Einer, der bisher geschwiegen hatte, ging vor Mamadou in die Hocke und fragte: »Hat dir jemand aufgetragen, die Koffer an einen bestimmten Ort zu bringen?«
    Mamadou starrte auf das Gewehr in den Händen des Mannes und schüttelte den Kopf.
    »Weißt du etwas von dem Jungen?«
    Mamadou schüttelte wieder den Kopf. Mit der Hand tastete er sich zum zweiten Kofferverschluß weiter.
    »Willst du behaupten, daß du rein zufällig hier vorbeigekommen bist, als der Ballon landete?« fragte der Mann vor ihm.
    »Zufällig? Nein«, sagte Mamadou. »Der Ballon war für mich bestimmt.«
    »Für dich?« Der Mann lachte los, und die anderen stimmten ein. Das Gelächter war schlimmer als die Gewehre in ihren Händen, denn es konnte nicht nur Wunden schlagen und ein Leben, das keines war, auslöschen, sondern es leugnete den Traum Mamadous, ein Mensch zu sein. Sie hielten es für lachhaft, daß er sich eingebildet hatte, ausgerechnet ihm könne ein Wunder widerfahren. Mamadou kniff die Lippen zusammen. Sollten sie ihn töten, doch daß ein anderes Leben vorstellbar gewesen wäre, das ließ er sich nicht nehmen! Das durfte keine Illusion sein! Er mußte mit eigenen Augen sehen, daß er recht hatte.
    Mamadou gab sich keine Mühe mehr, seine Handbewegungen vor ihren Augen zu verbergen. Schnell zog er den zweiten Schnappverschluß zurück und riß den Koffer so heftig auf, daß ein großer Teil der Bündel auf den Waldboden kippte. Da lagen sie, rechteckige, von Gummis zusammengehaltene Papierstreifen, die Mamadous Träume hatten wahr machen, seine Zukunft sichern und ihn als Wohltäter in seine Heimat

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