Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
sich nicht aus der Fassung bringen. »Die Fammin und der Tyrann haben auch meinen Vater getötet, haben mir einen Bruder genommen und mein Volk versklavt. Alle hier können ähnliche Geschichten wie deine und meine erzählen, doch wir bemühen uns, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht zu vergessen, wozu wir kämpfen. Weißt du, wozu du kämpfst?«
Ido sah ihr so eindringlich in die Augen, dass Nihal nicht anders konnte, als den Blick zu senken.
»Wenn du es nicht weißt, solltest du dich langsam einmal fragen, ob es ratsam für dich ist, weiter Krieger zu bleiben.«
»Ich wollte doch immer nur ...«
»Schluss jetzt. Geh lieber tanzen.«
»Ich kann nicht tanzen ...«
»Das ist ein Befehl.«
Fast ohne zu wissen, wie ihr geschah, fand sich Nihal mitten auf dem Platz wieder und wiegte sich im Rhythmus der Musik.
Was war nur falsch daran, den Tyrannen zu hassen? War es denn nicht Hass, der die Kraft zum Kämpfen verlieh? War es denn nicht recht, die Fammin zu hassen und sein Leben darauf auszurichten, sie zu vernichten? Was war falsch an dieser Einstellung? Ihr Körper tanzte, doch mit dem Kopf war sie woanders.
In tiefer Nacht klang das Fest aus, und Nihal und Ido zogen sich in ihr Quartier bei einem Kaufmann zurück, der sie gerne bei sich aufgenommen hatte.
»Hat dir der Abend nicht auch gefallen?«, fragte Ido, als sie sich gute Nacht sagten. »Du hast doch gespürt, wie schön es sein kann, sich zu amüsieren. Lerne, dein Leben zu schätzen, Nihal, dann wirst du auch verstehen, wozu du kämpfst.«
Als sie sich zur Ruhe bettete, fühlte sie sich im Kopf noch verwirrter als je zuvor.
19. Flugstunden
Die eigentliche Ausbildung begann für Nihal erst nach dieser Schlacht. In den Morgenstunden widmeten sie sich ausschließlich der Verbesserung ihrer Kampftechniken. Ido forderte sie. Bei Sonnenaufgang machten sie sich an die Arbeit und ruhten erst, wenn es Zeit zum Mittagessen war und sich in der Kampfbahn auch alle anderen drängten.
Es war nicht leicht für Nihal. Sie war daran gewöhnt, aus dem Instinkt heraus zu kämpfen, denn sie wusste, dass sie über eine außergewöhnliche Begabung verfügte, und verließ sich darauf. Ido hingegen verlangte, dass sie immer kühlen Kopf bewahrte, aufmerksam und wachsam war. Bei dem Gnomen selbst ging, egal ob im Training oder in der Schlacht, kein Schlag ins Leere, ganz gleich welche Waffe er gerade benutzte. Nihal machte sich erneut mit der Lanze vertraut, mit dem Morgenstern, der Streitaxt und der Peitsche, an denen sie sich auch schon in der Akademie versucht hatte. Sie lernte, in jedem Moment hoch konzentriert und sich stets ihrer selbst bewusst zu sein, egal wie beherzt sie auch angriff, doch Ido war dennoch nie zufrieden. Es genügte ihm nicht, dass Nihal alle Techniken beherrschte. Stark und selbstsicher sollte sie sein, sich stets im Klaren darüber, für welche Ziele sie kämpfte, und sich nicht von blindem Hass und Wut leiten lassen. Er wollte sie zu einer Frau formen, die sich selbst und der Aufgetauchten Welt von Nutzen war.
Ido hatte Nihal ins Herz geschlossen,- er erkannte ihre Möglichkeiten und bewunderte ihre Zähigkeit. Aber er wusste auch, was sie im Innersten bewegte: Zorn, Rachedurst, Selbstverachtung. Und er wollte es nicht hinnehmen, dass sie damit sich selbst zerstörte. Sie war zu stark, zu schön und zu willensstark, um ihr Leben zu vergeuden. Und so forderte er sie immer mehr.
Er lobte sie fast nie, holte das Letzte aus ihr heraus, brachte sie immer wieder zu Fall, um sie zu zwingen, sich jedes Mal wieder aus dem Staub zu erheben und es erneut zu versuchen. Und Nihal stand immer wieder auf, ohne zu klagen, ohne sich die Wunden zu lecken. Sie hatte ein Ziel, und das gedachte sie um jeden Preis zu erreichen. Wie die Wochen vergingen, gerieten ihre Überzeugungen jedoch immer mehr ins Wanken. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass es ihr Schicksal sei, Rache zu nehmen, und sich nie gefragt, ob dies richtig oder falsch war. Doch Idos Worte nach der Schlacht hatten sie verunsichert.
Sie sagte sich zwar immer wieder, dass ihr Hass seine Berechtigung habe. Denn wozu habe sie schließlich ihr Volk überlebt, wenn nicht, um es zu rächen? Und wenn sie des Nachts aus ihren Albträumen erwachte, war sie überzeugt, dass es ihr einziger Lebenssinn sein musste, den Tyrannen zu stürzen. Und dann zu sterben. Denn sie vermochte sich nicht vorzustellen, was danach noch sein könnte, wenn der Tyrann besiegt war. Wohin sollte sie dann auch gehen? Was
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