Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes

Titel: Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
Vom Netzwerk:
Kind! Du weißt ja nicht, was ich in meinen Träumen gesehen habe, du weißt nichts von den Massakern, denen ich beiwohnte ...«
    Ido beugte sich zu ihr hinab und sah ihr in die Augen. »Wovon redest du? Was ist das für eine Geschichte?«
    »Ich habe das Massaker an meinem Volk gesehen!«, erzählte sie schluchzend weiter, »Kinder, Frauen, Männer! Nacht für Nacht, bereits mein ganzes Leben lang! Sie raunen mir unverständliche Worte zu, sie verfolgen mich, fordern mich auf, ihren Tod zu rächen. Was hätte ich denn anderes tun sollen?«
    Ido verharrte einen Augenblick in Gedanken und setzte sich dann zu ihr auf den Boden. In seiner Stimme war Wärme, als er dann zu ihr sprach: »Nihal, du bist frei. Das musst du nur begreifen. Frei! Hier auf Erden haben diese Geister keinen Platz. Es ist ihr Hass, nicht deiner.«
    »Und was ist mit all den Toten?«, stieß Nihal hervor. »Wofür sind sie gestorben? Irgendjemand muss dieses Blutbad doch rächen! Ich bin die einzige Überlebende eines ganzen Volkes! Wozu sonst ausgerechnet ich?«
    »Die Toten sind tot, Nihal. Wer getötet wurde, kann in dieser Welt nichts mehr bewirken. Und auch du kannst nichts für sie tun. Aber tun kannst du etwas für jene, die leben, die tagtäglich die Grausamkeiten des Tyrannen zu erdulden haben.« Der Gnom strich Nihal die Haare aus ihrem verweinten Gesicht. »Glaub mir, auch ich habe entsetzliche Dinge mitangesehen. Auch ich musste gegen den Hass, der in mir tobte, ankämpfen. Dann irgendwann begriff ich, dass ich gebraucht wurde, dass ich den Lebenden helfen konnte. Daher beschloss ich zu kämpfen. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet du überlebt hast. Aber du bist hier und lebst. Und du kannst es dir nicht erlauben, dein Leben wegzuwerfen, denn es gehört nicht nur dir allein, sondern allen, denen du helfen kannst.«
    Nihal begann wieder zu weinen, verzweifelt, während ihr zierlicher Leib von Schluchzern geschüttelt wurde. Ido legte ihr einen Arm um die Schultern. »Weine nur, weine dich richtig aus. Wie lange hast du schon nicht mehr geweint?«
    Nihal konnte einfach nicht aufhören. »Ich habe meinen Vater sterben sehen. Und dann auch Fen. Ich liebte ihn, Ido. Er war noch mein Bindeglied zu dieser Welt, gab mir einen Grund zu leben. Danach blieb mir nur noch der Hass. Sonst nichts mehr.«
    Ido betrachtete dieses verzweifelte Mädchen und hatte Mitleid mit ihm. »Glaub mir, Nihal. Im Hass wirst du keine Antwort finden. Nur ein Ideal gibt dem Kampf einen Sinn. Aber es ist nicht leicht, eines zu finden, und ebenso wenig, im Einklang mit ihm zu leben und ihm nachzueifern. Doch ein Leben, ein Kampf ohne Ideale ist sinnlos.« Er streichelte ihr über den Kopf.
    Nihal weinte noch den ganzen Tag weiter. Das heftige Schluchzen legte sich, doch die Tränen wollten nicht versiegen.
    Ido sprach sie nicht mehr an, denn er war überzeugt, nun sei es an ihr, den richtigen Weg zu finden. Und so ließ er sie auf dem Holzboden seiner Hütte sitzen und mit dem Kopf zwischen den Knien vor sich hin weinen.
    Er aß allein, und während dieser traurigen Mahlzeit erinnerte er sich an zahlreiche Dinge, die er glaubte vergessen zu haben, in Wahrheit aber nie vollkommen überwunden hatte. Und diese Erinnerungen taten weh.
    Als er fertig gegessen hatte, fiel ihm auf, dass aus Nihals Kammer keinerlei Laut drang. Er öffnete die Tür.
    In Kleidern, mit dem Schwert an ihrer Seite, lag Nihal auf dem Bett. Sie schlief, und jetzt endlich schien sie sich beruhigt zu haben.
    Als Nihal am folgenden Morgen aufwachte, war ihr im ersten Augenblick, als handele es sich um einen Tag wie jeder andere. Doch je wacher sie wurde, desto klarer und schmerzlicher erinnerte sie sich an alles, was vorgefallen war. Und sie vergrub ihr Gesicht im Kissen.
    Ido steckte den Kopf zur Tür herein. »Guten Morgen! Du hast ja lange geschlafen! Wie fühlst du dich denn?«
    »Mein Bein tut ein wenig weh«, antwortete sie, indem sie schluckte, um die Tränen zu unterdrücken.
    »Iss mal etwas. Danach bringe ich dich zum Lazarett«, sagte Ido, und hielt ihr eine Schüssel voll Milch unter die Nase.
    Nihals Magen war wie zugeschnürt, doch sie zwang sich einen Schluck zu nehmen. Im Lazarett behandelte man sie mit einem Heilzauber, denn die Wunde hatte sich schon zu entzünden begonnen.
    Nihal musste daran denken, wie sie damals fast gestorben wäre, und Sennar sie drei Tage lang ununterbrochen mit dem stärksten Heilzauber, den er beherrschte, versorgt und so dem Tod entrissen hatte. Und sie

Weitere Kostenlose Bücher