Die drei Ehen der Grand Sophy
sie die Mutter zurückrufen. Dann faßte sie sich aber wieder und suchte sich zu beruhigen. Die Hände, die Sophys zusammengefalteten Brief hielten, zitterten, der ganze Anblick war der eines Menschen, der eine schwere Erschütterung erfahren hat. Miss Wraxton bemerkte es, trat näher und sagte teilnahmsvoll: »Auch dir ist nicht gut, fürchte ich! Hast du etwa schlimme Nachrichten erhalten?«
Dassett, den es stundenlang in den Fingern gejuckt hatte, die Oblate zu lösen, die Sophys Brief verschloß, hüstelte und fragte mit betontem Gleichmut: »Ist Miss Stanton-Lacy für heute abend zurückzuerwarten, Miss? Ihre Zofe ist einigermaßen in Sorge, denn sie war gar nicht darauf vorbereitet, daß ihre Herrin aufs Land fahren wollte.«
Cecilia sah ihn verstört an, gewann aber die Herrschaft über sich so weit wieder, daß sie leidlich gefaßt sagen konnte: »Ja, ich denke wohl. Nun ja, gewiß kommt sie heute abend zurück.«
Diese Antwort befriedigte zwar Dassetts Wissensdurst nicht, ließ aber Miss Wraxton die Ohren spitzen. Sie nahm Cecilias Arm, geleitete sie in die Bibliothek und sagte mit wohlabgetönter Stimme: »Die Ausfahrt hat dich sehr angestrengt. Seien Sie so gut, Dassett, und bringen Sie ein Glas Wasser und etwas Riechsalz in die Bibliothek. Miss Rivenhall fühlt sich nicht ganz gut.«
Cecilia war in der Tat einer Ohnmacht nahe und konnte nur dafür dankbar sein, daß man sie auf das Sofa bettete. Miss Wraxton löste geschickt die Bänder, die das Hütchen hielten, und begann Cecilias Hände zu reiben; dabei bekam sie den Brief zu fassen, den Cecilia nur schwach festhielt. In diesem Augenblick trat Dassett mit den bestellten Erfrischungen ein, Miss Wraxton nahm sie aus seiner Hand und nickte ihm zum Zeichen des Dankes zu, er könne sich zurückziehen. Die Schwäche, eine vorübergehende, ließ bereits nach, und Cecilia vermochte sich aufzusetzen, von dem Wasser zu nippen und das Riechfläschchen an die Nase zu führen. Inzwischen hatte Miss Wraxton mit der unbefangensten Miene den Brief entfaltet und machte sich ganz ungebeten mit seinem Inhalt vertraut.
»Du hast dich gewiß gewundert, liebste Cecy,’ warum ich so gar nicht mit Euch nach Richmond fahren wollte. Mag dieser Brief Dir die Erklärung liefern! Ich habe über die mißliche Lage, in die Du da geraten bist, nachgedacht; und ich sehe einen einzigen Weg, Dir aus dem Jammer herauszuhelfen, der durch den unerbittlichen Entschluß meines Onkels entstanden ist, Dich mit C. zu verheiraten. Ich habe den Eindruck, daß er in diesem Entschluß von C. selbst bestärkt worden ist, möchte Dich aber nicht quälen, indem ich mehr über diesen Gegenstand schreibe. Wäre C. aus dem Wege geschafft, dann muß mein Onkel, scheint mir, seine Haltung gegen F. ändern.
Charles wird gesagt haben, daß wir einen argen Streit hatten. Wenn auch die Schuld bei mir lag, ich bestreite das nicht, so macht es mir doch seine heftige und unbeherrschte Sprechweise unmöglich, länger unter diesem Dach zu verbleiben. Ich ziehe mich daher nach Lacy Manor zurück, und ich habe C. gebeten, mich hinzubringen. Verlaß Dich darauf, ich werde es ihm unmöglich machen, Lacy Manor noch heute abend wieder zu verlassen! Er ist ein Gentleman, und wenn auch sein Herz nie mir gehören kann, wird er mir doch gewiß seine Hand bieten müssen, und damit ist der Weg für Dich frei.
Hab keine Angst um mich! Du weißt, daß ich mich irgendwie unterbringen will, und obwohl meine Gefühle da ebensowenig im Spiele sind wie die C.s, und obwohl ich vor den Mitteln zurückschrecke, die sein Gleichmut mir aufzwingt, meine ich doch, daß wir einigermaßen miteinander auskommen können. Wenn ich Dir dabei Hilfe geleistet habe, liebste Kusine, so wird das mein Lohn sein. Deine immer getreue Sophy.«
»Großer Gott!« schrie Miss Wraxton auf. »Ist so etwas möglich? Ihr Betragen habe ich nie gebilligt, aber daß sie es zu so etwas kommen lassen würde, nein, das hätte ich nicht gedacht! Dies Unglücksgeschöpf! Und nicht ein Wort der Reue, der Zerknirschung! Nicht eine Spur von Schamgefühl! Ärmste Cecilia, ich kann mich nicht wundern, daß du aus der Fassung gekommen bist! Man hat dich schändlich getäuscht!«
»Wovon sprichst du?« rief Cecilia und sprang auf. »Eugenia, du hattest kein Recht, den Brief, der an mich gerichtet war, zu lesen. Gib ihn mir sofort, und wage es nicht, auch nur einer einzigen lebendigen Seele etwas von seinem Inhalt zu verraten!«
Miss Wraxton reichte ihr den Brief und
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