Die drei Musketiere 2
den Hof kamen, vernahmen sie das Geräusch eines Wagens, der vor dem Tor hielt. Mylady horchte.
»Hört Ihr?« sagte sie. – »Ja, das Rollen eines Wagens.« – »Es ist der, den uns mein Bruder schickt.« – »O mein Gott!« – »
Auf! Mut gefaßt!«
Es läutete an der Klosterpforte, Mylady hatte sich nicht getäuscht.
»Geht in Euer Zimmer hinauf«, sagte sie zu Madame
Bonacieux. »Ihr habt vielleicht einige Kostbarkeiten, die Ihr gern mitnehmen wollt.«
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»Ich habe seine Briefe.«
»Gut, so geht und holt sie! Kommt dann sogleich zu mir, wir nehmen noch geschwind eine Kleinigkeit zu uns. Vielleicht reisen wir einen Teil der Nacht, wir bedürfen der Kräfte.«
»Großer Gott! Das Herz will mir zerspringen, ich kann nicht von der Stelle.«
»Mut gefaßt, meine Teure, Mut! Bedenkt, daß Ihr in einer Viertelstunde gerettet seid, und daß Ihr, was Ihr tut, für Ihn tut.«
»Ja! Alles, alles für ihn. Ihr habt mir durch ein einziges Wort meinen Mut wiedergegeben.«
Mylady eilte in ihr Zimmer, sie fand hier den Bedienten Rocheforts und gab ihm seine Befehle. Er sollte vor dem Tor warten. Sollten etwa Musketiere erscheinen, so müßte der Wagen im Galopp um das Kloster fahren und Mylady in einem Dörfchen erwarten, das auf der andern Seite des Gehölzes lag.
In diesem Fall wollte sie durch den Garten gehen und das Dörfchen zu erreichen suchen. Zeigten sich die Musketiere nicht, so sollte mit Madame Bonacieux alles wie verabredet vor sich gehen.
Madame Bonacieux trat ein, und um jeden Argwohn zu
zerstreuen, wiederholte Mylady dem Bedienten in ihrer Gegenwart den letzten Teil seiner Weisung.
»Ihr seht«, sagte Mylady, nachdem der Lakai weggegangen war, »alles ist bereit. Die Äbtissin hat keine Ahnung und glaubt, man hole mich auf Befehl des Kardinals. Eßt einen Bissen, trinkt einen Tropfen Wein, und dann vorwärts.«
»Ja«, sagte Madame Bonacieux mechanisch, »ja, vorwärts!«
Mylady gab ihr ein Zeichen, sich ihr gegenüberzusetzen, schenkte ihr ein Glas spanischen Weines ein und legte ihr ein Stückchen Huhn vor.
»Seht«, sagte sie, wie sich alles fügt, und es wird bereits Nacht. Bei Tagesanbruch sind wir an Ort und Stelle, und niemand wird ahnen, wo wir uns befinden. Mut gefaßt und 257
nehmt etwas zu Euch!«
Madame Bonacieux aß mechanisch einige Bissen und
benetzte ihre Lippen mit dem Wein.
»Auf, mutig!« sagte Mylady, indem sie ihr Glas an die Lippen setzte, »macht es wie ich!«
Aber in dem Augenblick, wo sie trinken wollte, blieb ihre Hand in der Luft stehen. Sie hatte in der Ferne das Geräusch eines näherkommenden Galopps gehört, und zugleich war es ihr, als vernähme sie das Gewieher von Pferden. Dieses Geräusch riß sie aus ihren angenehmen Gedanken, wie uns das Brausen des Sturmes mitten in einem schönen Traum weckt. Sie erbleichte und lief nach dem Fenster, während Madame Bonacieux, am ganzen Leibe zitternd, aufstand und sich, um nicht zu fallen, auf ihren Stuhl stützte. Man sah noch nichts, man hörte nur den Galopp immer deutlicher.
»O mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »was bedeutet dieses Geräusch?«
»Es rührt von unsern Freunden oder von unsern Feinden her«, antwortete Mylady mit furchtbarer Kaltblütigkeit. »Bleibt, wo Ihr seid, ich werde es Euch sagen.«
Madame Bonacieux blieb an ihrem Platz stehen, stumm, unbeweglich und bleich, wie eine Bildsäule. Indessen wurde das Geräusch immer stärker. Die Pferde konnten nicht weiter als fünfhundert Schritte entfernt sein. Wenn man sie noch nicht sah, so kam dies daher, daß die Straße eine Krümmung bildete. Aber der Klang war so deutlich, daß man die Zahl der Pferde an ihrem Hufschlag hätte unterscheiden können. Mylady schaute mit gespannter Aufmerksamkeit. Es war gerade noch hell genug, daß man die Ankommenden zu erkennen vermochte. Plötzlich sah sie an der Wendung des Weges betreßte Hüte glänzen und Federn wogen. Sie zählte zwei, dann fünf, dann acht Reiter. Der eine ritt übrigens um zwei Pferdelängen voraus. Mylady schrie auf. In dem an der Spitze erkannte sie d’Artagnan.
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»O mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »was gibt es denn?«
»Es ist die Uniform der Leibwache des Kardinals – kein Augenblick zu verlieren!« schrie Mylady, »laßt uns fliehen, eiligst fliehen.«
»Ja, ja, fliehen«, wiederholte Madame Bonacieux, aber ohne vor Schrecken einen Schritt machen zu können. Man hörte die Reiter unter dem Fenster vorüberjagen.
»Kommt doch, kommt doch!« rief Mylady und
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