Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
kicherte. »Nach Einbruch der Dunkelheit ist es wahrscheinlich am besten«, sagte er. »Ich war vor drei Monaten hier, als ich ein Kind herausgeholt und zu seinem Vater zurückgebracht habe. Dabei habe ich erfahren, daß Druss hier ist. Die Kerker hier liegen – wie ihr euch denken könnt – auf der untersten Ebene. Darüber befindet sich die Küche, und darüber die Haupthalle. Es gibt keinen anderen Weg aus den Verliesen als durch die Halle. Das bedeutet, wir müssen bei Einbruch der Dunkelheit in der Inneren Festung sein. Es gibt keinen Nachtwächter in den Kerkern. Wenn wir es schaffen, uns bis etwa Mitternacht in der Festung zu verstecken, sollten wir Druss finden und herausholen können. Was das Verlassen der Festung angeht – das ist eine andere Sache. Wie ihr gesehen habt, werden die beiden Tore am Tag bewacht und über Nacht verschlossen. Auf den Mauern patrouillieren Wächter, und auf den Türmen ein Ausguck.«
»Wie viele?« fragte Eskodas.
»Damals waren fünf Mann in der Nähe des Haupttores.«
»Wie bist du mit dem Kind herausgekommen?«
»Es war ein kleiner Junge. Ich versteckte ihn in einem Sack, den ich hinter meinen Sattel schnallte, und brachte ihn kurz nach Morgengrauen hinaus.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Druss in einen Sack paßt«, meinte Sieben.
Varsava setzte sich neben den Dichter. »Er ist nicht mehr der Mann, den du kanntest, Dichter. Er war länger als ein Jahr in einer winzigen, fensterlosen Zelle. Er hat kaum genug zu essen bekommen, daß er am Leben blieb. Er wird nicht mehr der Riese sein, den wir kannten. Und wahrscheinlich ist er blind – oder verrückt. Oder beides.«
Schweigen senkte sich über den Raum, als jeder sich an den gewaltigen Axtschwinger erinnerte. »Ich wünschte, ich hätte es früher erfahren«, murmelte Sieben.
»Ich wußte es selbst nicht«, sagte Varsava. »Ich dachte, sie hätten ihn getötet.«
»Merkwürdig«, warf Eskodas ein. »Ich konnte mir nie vorstellen, daß Druss besiegt wird – nicht einmal von einer Armee. Er war immer so … so unbezwingbar.«
Varsava lachte leise. »Ich weiß. Ich habe gesehen, wie er unbewaffnet in ein Tal spazierte, in dem gut ein Dutzend Krieger einen alten Mann folterten. Er fuhr durch sie hindurch wie eine Sense durch Weizen. Eindrucksvoll.«
»Also, wie wollen wir vorgehen?« fragte Sieben.
»Wir gehen in die Haupthalle, um dem Herrn Cajivak unsere Aufwartung zu machen. Vielleicht töten sie uns nicht gleich auf der Stelle!«
»Oh, das ist ein guter Plan«, meinte Sieben sarkastisch.
»Hast du einen besseren?«
»Ich glaube schon. Es ist doch denkbar, daß an einem solchen Ort gute Unterhaltung knapp ist. Ich gehe allein hinein und stelle mich mit meinem Namen vor. Ich biete den Leuten an, für meine Mahlzeit eine Vorstellung zu geben.«
»Auch wenn du mich jetzt für unhöflich hältst«, sagte Eskodas, »aber ich glaube nicht, daß deine epischen Gedichte hier so gut aufgenommen werden, wie du meinst.«
»Mein Lieber, ich bin Unterhaltungskünstler. Ich kann eine Vorstellung für
jedes
Publikum geben.«
»Nun«, meinte Varsava, »dieses Publikum besteht aus dem Abschaum von Ventria und Naashan und westlich und östlich davon. Hier gibt es Deserteure aus Drenai, Söldner aus Vagria und Verbrecher aller Art aus Ventria.«
»Ich werde sie verblüffen«, versprach Sieben. »Gebt mir eine halbe Stunde, damit ich mich vorstellen kann. Dann kommt in die Halle. Ich verspreche euch, niemand wird euch bemerken.«
»Woher hast du nur diese Bescheidenheit?« fragte Eskodas.
»Eine Gabe«, antwortete Sieben, »und ich bin sehr stolz darauf.«
Druss erreichte die zweite Ebene und blieb am Ende der Treppe stehen. Er konnte die Geräusche zahlreicher Menschen hören – das Klirren von Pfannen, die gescheuert, und Besteck, das zusammengelegt wurde. Er konnte riechen, daß frisches Brot gebacken wurde, dazu den würzigen Duft von Rinderbraten. Er lehnte sich an die Wand und versuchte zu überlegen. Es gab keinen Weg hindurch, ohne gesehen zu werden. Seine Beine waren müde, und er hockte sich auf die Fersen.
Was tun?
Er hörte Schritte näher kommen und richtete sich auf. Ein alter Mann erschien. Sein Rücken wies einen schrecklichen Buckel auf, und die Beine waren krumm. Der Alte schleppte einen Eimer Wasser. Sein Kopf fuhr hoch, als er sich Druss näherte. Seine Nasenflügel bebten. Druss sah, daß die Augen tränten und von einem undurchsichtigen Film bedeckt waren. Der alte Mann stellte den
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