Die dritte Sünde (German Edition)
der Herrin empfunden hatte, war längst wieder dem Unverständnis gewichen. Da ging plötzlich die Tür auf und Cathy kam hereingestolpert, mit blaugefrorenen Lippen, völlig durchnässt und anscheinend am Ende ihrer Kräfte. Sie trug nicht einmal ein Cape, sondern war so wie sie war durch den Herbststurm gelaufen. Mit einem Ausruf der Erleichterung sprang Aaron auf, doch Mrs Branagh war schneller. »Cathy, wo um alles in der Welt kommst du jetzt her? Wir haben schon begonnen, uns Sorgen zu machen. So etwas darf nicht noch einmal vorkommen! Und solche Unvernunft! Du bist ja völlig durchgefroren.« In der Strenge ihrer Worte verbarg die Haushälterin ihre ehrliche Sorge. Auch sie sah, dass die junge Zofe völlig aufgelöst und kaum mehr Herrin ihrer Sinne war.
Cathy schaute sie verständnislos an. »Vater hat mich nicht einmal eingelassen«, murmelte sie zusammenhanglos. »Sie wollten mich nicht anhören! Was soll ich nur tun?«
»Einen Tee und ab mit ihr ins Bett!«, befahl Mrs Reed kategorisch und kümmerte sich höchstselbst darum, dass ihr Befehl umgehend in die Tat umgesetzt wurde. Mrs Branagh sah Elfie kopfschüttelnd nach, die ihre Zimmergenossin zu Bett zu bringen hatte. »Herrgott, was ist das nur mit diesem Mädchen? Es wird Zeit, dass hier eine Lösung gefunden wird.«
Kapitel 49
»Sir, ich würde gerne jetzt gleich noch einige Dinge mit Ihnen besprechen. Ich denke, es ist dringend.« Mrs Branagh wandte sich mit entschlossener Miene an den Hausherrn, der, um seine Gattin zum Frühstück abzuholen, ins Zimmer getreten war. Sie hatte an diesem Morgen, wie schon am Abend davor, den Zofendienst bei der jungen Herrin übernommen – sehr zu deren Missfallen, wie Mrs Havisham unmissverständlich deutlich gemacht hatte.
»Hm!«, brummte Havisham unwillig und versuchte, seine Halsbinde vor dem Spiegel neu zu knüpfen. Er hatte sich wie immer schon zu früher Morgenstunde in sein Büro zurückgezogen, um seine Korrespondenz zu erledigen und legte nun eine erste kurze Arbeitspause ein. »Dazu habe ich eigentlich keine Zeit. Ich habe heute Morgen nach dem Frühstück noch eine längere Besprechung mit Mr Armindale zu führen, bei der ich unter keinen Umständen gestört werden will. Kann man das nicht verschieben?«
»Sir, es ist wirklich dringend. Ich denke aber, es wird nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. Wir können es auch gerne gleich hier besprechen.«
Havisham wandte sich mit kaum verhohlener Ungeduld, aber dennoch bereit, ein Quäntchen seiner kostbaren Zeit der durchaus fähigen Hauswirtschafterin zur Verfügung zu stellen, Mrs Branagh zu. »Nun, Mrs Branagh, was gibt es denn so Wichtiges? Ich vermute, hoffe es aber zu deren eigenem Besten nicht, dass es schon wieder um diese kleine Zofe meiner Frau geht. Ich bin nicht bereit, mir dieses alberne Getue noch weiter anzuhören, geschweige denn, mich damit auseinanderzusetzen.«
»Sir, in der Tat geht es auch um Cathy Thomson«, gab Mrs Branagh unumwunden zu und verschränkte ihre Hände in Höhe ihrer schlanken Taille – ein Bild erhabener Unnachgiebigkeit. Isobel musterte sie unsicher. War Cathy womöglich davongelaufen? Gespannt wartete sie auf die weiteren Ausführungen der Haushälterin.
»Sir, ich denke, es wäre sinnvoll, Cathy Thomson anderswo im Haus, vielleicht in der Küche oder bei den Hausmägden oder vielleicht besser in Wilton House zu beschäftigen. Sie scheint, zu meinem Bedauern, der Arbeit als Zofe speziell bei Ihrer Gattin aus diversen Gründen nicht gewachsen zu sein und ist nun schon wieder erkrankt. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass sie eine andere Arbeit zufriedenstellend ausfüllen wird. Man sollte dringend ein anderes Arrangement treffen.« Sie räusperte sich.
In Isobel kroch Zorn hoch. Deshalb hatte Mrs Branagh, die schlaue alte Krähe, also nichts zu ihr gesagt und war ihren Fragen nach Cathy geschickt ausgewichen. Sie wollte die Sache mit Havisham besprechen, um sicherzustellen, dass Isobel eine Entlassung Cathys aus ihren Pflichten nicht verhinderte. Zu dumm! Gerade jetzt, wo Isobel sich so sicher war, Cathy völlig in ihrer Hand zu haben.
»Zunächst muss ich aber einen noch wichtigeren Punkt mit Ihnen besprechen«, setzte Mrs Branagh erneut an. Der Hausherr wedelte ungeduldig mit der Hand. »Nun, dann immer raus damit. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Mrs Branagh hob pikiert eine Augenbraue, kommentierte die Äußerung ihres Arbeitgebers aber selbstverständlich nicht. »Sir, Sie weilen, anders
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