Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Shit. Ich habe festgestellt, dass meine Kopfschmerzen davon besser werden. Meine Mutter geht nicht mehr mit mir zum Arzt. »Das bringt nichts«, sagt sie. Nach den Joints und dem Bier gehe ich normalerweise spät ins Bett. Oft ist meine Mutter mit einem Kerl im Bett, aber ich schalte trotzdem das Licht ein und mache Lärm; mir ist es egal. Statt einer Tür hat sie einen Vorhang vor dem Schlafzimmer. Zum Totlachen! Wenn ich sie am nächsten Tag zu Gesicht bekomme, schnauzt sie mich an. Während sie redet, gähne ich laut, aber das endet meistens im Streit. Entweder sie oder ich stürmen aus dem Haus und knallen die Tür laut hinter uns zu. Einmal wollte sie mir eine scheuern, aber ich habe ihr nur fest in die Augen geschaut, und da hat sie den Arm sinken lassen.
M AI BIS S EPTEMBER 1983
Ich rauche jetzt immer öfter. Fünf bis sechs Joints am Tag, oft mit einem Schluck Bier. Das kostet natürlich, und ich habe nicht genügend Knete, um mir meinen täglichen Bedarf zu kaufen. Ich habe ein paar Möglichkeiten ausgetüftelt, an Moos zu kommen, aber auf Dauer war es zu gefährlich. Es kann ganz schön heiß werden, im Supermarkt zu klauen – erst recht wenn man allein ist. Mein Aussehen zieht die Sicherheitsleute an wie die Motten das Licht. Sie haben mich so schnell kaltgestellt, dass ich gar nicht erst zum Zug kam. Als sie mich schließlich laufen ließen, habe ich ihnen den Stinkefinger gezeigt. Auch ein anderer Plan ist schiefgegangen. Wenn meine Mutter und ihr Kerl geschlafen haben, schlich ich mich ins Zimmer und leerte die Brieftasche des Typen. Drei- oder viermal ist es gut gegangen. Beim letzten Mal wurde ich vom Geschrei meiner Mutter geweckt. »Ich bin doch keine Nutte! Ich habe dein Geld nicht genommen, Blödmann. Ficken kannst du übrigens auch nicht. Wühl ruhig alles durch; aber dann mach, dass du wegkommst!« Der Kerl hat die Biege gemacht, und meine Mutter kam wie eine Verrückte in mein Zimmer gestürmt. Natürlich war alles sonnenklar. Sie hatte längst kapiert. Dieses Mal hat sie mich nach Strich und Faden vermöbelt. Ich musste mich zusammenreißen, ihr nicht selbst eine zu kleben.
Der nächste Plan funktionierte ein bisschen länger, aber auch da ging schließlich alles schief, und zwar ziemlich heftig. Ich fing an, die Autos der Liebhaber meiner Mutter leer zu räumen. Autoradios, Kassetten, haufenweise vergessenes Zeug – alles musste raus. Irgendwann fingen die Kerle an, meiner Mutter vorzuhalten, sie wohne in einem ziemlich unruhigen Viertel. Beim ersten Mal konnte sie es kaum glauben, beim zweiten Mal war sie überrascht, etwas weniger beim dritten Mal, beim vierten Mal wurde sie misstrauisch, beim fünften Mal ahnte sie etwas, und beim sechsten Mal hat sie mich erwischt. Und wieder einmal musste ich ordentlich einstecken.
Schließlich fiel mir noch eine letzte Möglichkeit ein, mit der ich meine wöchentliche Ration sicherstellen konnte: Ich klaute Mofas oder kleine Motorräder und verhökerte sie in einer Nachbarstadt weiter. Zwei Wochen Dröhnung für ein Mofa in gutem Zustand und ein bis zwei Monate für ein astreines Motorrad. Im Augenblick scheint es mir der beste Plan zu sein, der auch auf längere Sicht funktioniert.
Mir ist aufgefallen, dass der Shit meine Träume nicht verändert. Höchstens ein bisschen. Ich habe völlig unzusammenhängende Albträume, die ich meistens noch in der Nacht aufschreibe – spätestens aber am nächsten Morgen, sobald ich die Augen öffne. Aber so oft ich sie auch durchlese, ich finde keine Verbindung mit der Wirklichkeit.
Es sind die gleichen Träume, die mich seit meiner Kindheit heimsuchen, doch seither habe ich Fortschritte gemacht. Zunächst einmal ertrage ich mein Übel mit Geduld. Ich weiß noch immer nicht, warum ich seit über fünfzehn Jahren hinter jemandem herrenne. Der Traum gehört inzwischen so sehr zu mir, dass ich überrascht und sogar ängstlich bin, wenn ich ihn einmal nicht träume. Zu Beginn lief ich hinter einem Schatten her, später wurde aus dem Schatten eine ferne, menschliche Gestalt, die ich immer besser erkannte, bis mir eines Tages klar wurde, dass es der Rücken eines Jungen weit vor mir ist. Inzwischen bin ich höchstens noch fünfzehn Meter von ihm entfernt. Wenn ich schneller werde, wird auch er schneller, wenn ich langsamer werde, wird auch er langsamer. Der Abstand zwischen uns ändert sich nicht. Er weiß, dass ich da bin, doch er dreht sich nicht um und ermutigt mich auch nicht. Manchmal, wenn ich hinter ihm
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