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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Seitenstechen. Meine Mutter fragte mich, hinter wem ich wie ein Irrer hergelaufen wäre. Ich habe geantwortet: »Hinter dem Kerl, der da vorne stand.« Sie zuckte die Schultern und sagte: »Da war aber niemand, mein armer Junge. Du solltest vielleicht aufhören, diesen Mist zu rauchen. Du glaubst doch nicht etwa, ich wüsste nicht, dass du Cannabis rauchst?« Sie sagte das mit einer Geringschätzung, die mich ärgerte. Ich wurde stinkwütend, aber das änderte nichts. Wieso verbünden sich alle gegen mich?
    Ich habe versucht, das Schloss im Schrank meiner Mutter mit Einbruchswerkzeug zu öffnen. Aber meine Mutter schien etwas geahnt zu haben. Statt eines einfachen Schlosses, das man mit einem Zahnstocher aufbekommt, hat sie etwas sehr viel Solideres einbauen lassen. Ich habe mein Werkzeug zusammengepackt und mich verzogen. Eines Tages werde ich dieses Scheiß-Schloss aufbekommen, oder ich zerstöre den Schrank. Auf jeden Fall will ich wissen, was in diesem Umschlag ist.
    Seit ein paar Wochen geht meine Mutter jeden Morgen splitterfasernackt an meinem Zimmer vorbei ins Bad, dicht gefolgt von ihrem Macker. Ich hasse das, aber trotzdem muss ich immer hinschauen. Der Macker ist kein nichts Besonderes. Ein eingebildeter Typ, der ein Cabrio fährt und sich wie ein Rocker kleidet. Lächerlich und total altmodisch! Ich glaube, er färbt sich sogar die Haare.
    Ein paar Tage später erklärte ich meiner Mutter, dass ich ihren Macker nicht mag. »Die biologische Uhr tickt nun mal«, sagte sie einfach. »Ab einem bestimmten Alter tickt sie immer schneller, und eines Morgens wacht man auf und gehört zum alten Eisen. Ich weiß, dass es bei mir nicht mehr lange dauert, also lass mich in Frieden mit deiner billigen Moral.«
    Aber ich kann den Macker wirklich nicht mehr sehen. Eines Nachts bin ich heimlich aufgestanden und habe mein aufklappbares Rasiermesser mitgenommen. Der Griff ist aus Elfenbein und hat ein winziges Loch, durch das eine lange, dünne Lederschnur läuft. Ich trage das Messer oft um den Hals. So habe ich es sehr schnell zur Hand. Die Jungs wissen jetzt, dass mit mir nicht zu spaßen ist, und ich habe meine Ruhe. So schnell trickst mich keiner mehr aus. Die Klinge ist immer perfekt geschärft. Manchmal schneide ich mir in den Finger, wenn ich sie teste.
    Ich habe das Dach seiner Angeberkarre aufgeschnitten. Es war richtig anstrengend. Zum Schluss war buchstäblich nichts mehr auf den Streben. Alles kaputt. Ich war echt stolz auf mich. Auf dem Rückweg schlich ich mich leise durch die nur wenige Meter lange Allee, die von der Straße zur Eingangstür führt. Das Rasiermesser hing auf meinen Rücken hinunter. Die von hohen Thujas gesäumte Allee ist bei Nacht stockfinster.
    Der Macker wartete auf mich, aber das wusste ich nicht. Ich hatte auch nicht die Zeit zu sehen, was er in der Hand hielt, aber als ich den ersten Schlag abbekam, glaubte ich, ich würde explodieren. Der Schmerz war unerträglich. Ich ging zu Boden und konnte nicht mehr reagieren. Er ließ seine ganze Wut an mir aus. Meine Mutter kam schreiend aus dem Haus gelaufen. Der Kerl ist in sein Auto gesprungen und mit quietschenden Reifen davongebraust. Ich dachte daran, dass sein Dach sich gleich selbstständig machen würde, und musste trotz allem grinsen. Am Boden lag die zerbrochene Flasche, mit der er acht- oder neunmal auf mein Gesicht eingedroschen hatte. Das Blut lief in Strömen herunter, ein richtiges Schlachtfest. Das Ekel hatte mich weiß Gott nicht mit Samthandschuhen angepackt. Alles war bis auf die Knochen zerschnitten: die Wangen, das Kinn, ja sogar das Zahnfleisch. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich ohnmächtig.

13
    M ONTAG , 11. A UGUST 2003
    Nach einer kurzen Nacht traf Mistral gegen 8.00 Uhr schon wieder im Polizeipräsidium am Quai des Orfèvres ein. Er war überzeugt, dass es in dieser Serie keinen weiteren Mord mehr geben würde, ahnte aber auch, dass es um die Indizien immer noch mager bestellt war. Calderone saß bereits im Büro und diskutierte mit Paul Dalmate. Dalmate war aschfahl. Sein eingefallenes Gesicht wirkte verschlossen und verriet, dass der Mord ihn deutlich mehr mitnahm, als es bei einem Kripobeamten ratsam war.
    »Vielleicht sollten wir erst mal einen Kaffee trinken, ehe wir über den Fall sprechen«, schlug Mistral vor.
    Auch Mistral sah nicht gut aus. Seine Wangen waren hohl, und er hatte tiefe Ringe unter den Augen. Außerdem war er gereizt und erwartete nichts Gutes von diesem Tag.
    »Tut mir aufrichtig

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