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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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ebenso unbeschadet zu überstehen, wie sich die Mitarbeit an bestimmten Fällen vorzubehalten. Die Mitglieder der Akademie waren Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Exoten, auf die man sich berief, wenn es irgendwo brannte, und ansonsten eher mied. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine Presseabteilung gab, die unsere Arbeit in die Welt hinausposaunte.
    »Sie irren, wie so oft«, sagte Ernesto. »Aber was verstehen Sie schon von den Feinheiten.« Seine Miene wurde unnahbar. »Ermitteln Sie. Machen Sie Ihren Job gründlich. Und überlassen Sie mir die Fäden im Hintergrund. Die ziehe ich sowieso, ob es Ihnen passt oder nicht. Und eigentlich können Sie sich glücklich schätzen. Ohne Mirella wüssten Sie nicht einmal, dass ich involviert bin und über jeden Ihrer Schritte Bescheid weiß. Sie war dafür, dass wir mit möglichst offenen Karten spielen.« Sein Gesichtsausdruck wurde weicher. »Also machen Sie es uns beiden doch nicht schwerer als nötig. Geben Sie Ihr Bestes. Nicht mehr und nicht weniger. Das kann nicht so schwer sein, das kriegen selbst wir auf Kuba hin.«
    Ich schnappte nach Luft, doch Mirellas durchdringender Blick sagte mir, dass ich nun besser den Mund hielt. »Natürlich«, sagte ich, ohne den ironischen Unterton verstecken zu wollen. »Gründlich arbeiten wie auf Kuba. Si Señor.«
    »Ich bin sicher, wir verstehen uns.« Sanchez streckte sich, wobei sein weißes, gestärktes Hemd sich über die wohlproportionierten Muskeln seines Oberkörpers spannte. »Na dann legen Sie mal los mit Ihren – Talenten. Ich bin sehr gespannt.«
    Ich unterdrückte den bissigen Kommentar, den ich auf der Zunge hatte. Wir waren hier, um zu arbeiten. Ob mir nun die Anwesenheit dieses Yuppies passte oder nicht. Und der Fall war ohne Frage spannend. Ich hatte mich seit Jahren nicht mehr so lebendig gefühlt. Auch wenn ich das niemals zugegeben hätte.
    Ich heftete den Blick auf Mirella. »Also gut …«
    Ihr Gesicht blieb unbewegt, doch ich sah, wie ihre Brust sich in schnellen Atemzügen hob und senkte. Sie wusste, was jetzt kam. Und ich konnte nur hoffen, so gut zu sein wie früher. Auch wenn seitdem Jahre vergangen waren.
    Ich zwinkerte ihr zu und bemerkte mit einer inneren Befriedigung, dass Ernesto Sanchez es genau gesehen hatte. Dann drehte ich mich um und schritt langsam durch den Raum, der sich immer weiter in die Länge zu strecken schien wie ein schlafendes Tier. In der Mitte des Speisesaales blieb ich stehen und atmete tief durch. Es war wirklich lange her, dass ich in einer solchen Situation gewesen war. Dass meine Fähigkeiten gefragt gewesen waren. Wahrscheinlich war ich ein wenig aus der Übung … und wenn schon.
    Ich merkte, wie Ernesto sich zu Mirella hinüberbeugte. »Was macht er da?«, hörte ich ihn murmeln.
    »Ruhe!« Meine Stimme hallte durch den leeren Raum und wurde von den kahlen Wänden zurückgeworfen, viel lauter und eindrucksvoller, als ich gedacht hätte. Und tatsächlich, es funktionierte. Der Schnösel verstummte augenblicklich. Ich unterdrückte ein Grinsen. Interessant. Offensichtlich führten wir beide eine seltsame Art von Machtspiel. Unterschwelliges Schwanzmessen. Und jetzt war ich an der Reihe.
    Wer Dinge erspürt, wer wahrnimmt, was andere nicht wahrnehmen, ist wie ein Seismograph. Alles in der Umwelt sendet leichte Erschütterungen aus, die in mir ankommen und ihrerseits Reaktionen auslösen. Es gibt Tage, an denen es mir schwerfällt, mich abzuschotten, an denen ich meine Fähigkeiten hasse. Und es gibt Momente wie diesen, in denen sie meinem Leben einen Sinn geben.
    Ich schloss die Augen, atmete einmal tief durch und ließ mich in die Atmosphäre des Raumes hineinfallen. Ein Wispern und Summen stieg auf, erst ganz langsam und verwischt wie aus weiter Ferne, dann immer deutlicher. Stimmengewirr, Geschirrklappern, hin und wieder ein Husten. Eilende Schritte. Gelächter. Das Quietschen von Schwingtüren, ein sanfter Lufthauch, fast unmerklich auf der Haut.
    Ich ging weiter und spürte mit jedem Schritt einen immer heftiger werdenden Druck auf der Brust. Es war, als läge ein eiserner Ring um meinen Oberkörper. Das Atmen wurde schwer und eine seltsam fiebrige Hitze stieg in mir auf. Das diffuse Summen leichten Schwindels breitete sich aus, ließ meinen Kopf schwer werden und meine Gedanken wie betäubt. Mühsam hob ich den Blick – und erstarrte mitten in der Bewegung. Die feinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf. Neben mir, keinen Meter entfernt, stand

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