Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
eingeredet, gejammert, gefleht, gebettelt. Den Kripobeamten irgendeine blümchenreiche Mitleidsgeschichte aufgetischt, schließlich Geld angeboten, mehr Geld, als ein Polizist auf ehrliche Weise in vielen Jahren verdienen kann, und am Ende war man sich offenbar einig geworden. Man hatte den Tatort so verändert, dass alles nach dem aussah, was der Notarzt später attestierte: nach einem häuslichen Unfall mit Todesfolge. Das Fälschen der Anschrift in den amtlichen Dokumenten war am Ende nur noch eine Kleinigkeit gewesen. Das minimale Risiko, dass der Arzt den Schwindel bemerken würde, hatte man in Kauf genommen. In diesem Fall hätte man sich immer noch auf ein Versehen herausreden können.
Als später Hergarden in der Polizeidirektion auftauchte und Graf des Mordes beschuldigte, war er natürlich bei den Beamten gelandet, die den Fall bearbeitet hatten. Und für die war es ein Leichtes gewesen, die Anzeige anschließend im Papierkorb verschwinden zu lassen.
So weit die Theorie.
Aber woher die Beweise nehmen?
Es gab auf der Welt nur drei Menschen, die mir diese liefern konnten: Johann Boll, Marcel Graf und seine geschiedene Frau, Elisabeth von Brühl. An Graf kam ich vorläufig nicht heran, Boll würde alles leugnen, und die Frau konnte ich um diese Uhrzeit noch nicht belästigen. Die würde sich vermutlich am ehesten überrumpeln lassen, überlegte ich. Sie war das schwächste Glied in der Kette. Graf dagegen war ein ausgebufftes Schlitzohr, Boll kannte als ehemaliger Polizist unsere Tricks und Schliche.
Ich erhob mich, machte mir einen schönen großen Cappuccino mit extra viel Schaum, setzte mich wieder. Draußen war es schon hell. Die Nächte wurden wieder kürzer. Mit etwas Glück würde heute sogar ein sonniger Tag werden.
Wie mochte es weitergegangen sein, nachdem der Arzt sich damals verabschiedet hatte? Graf hatte sich bei den beiden kooperativen Polizisten herzlich bedankt und jedem einen Packen Geldscheine in die Hand gedrückt. Ein Leichenwagen war gekommen und hatte Vicky Hergardens sterbliche Überreste abgeholt. Womöglich hatten Boll und sein Kollege – wie hatte er noch geheißen? Reitzle, richtig – zu Beginn einige Fotos geschossen, die den Tatort in seinem ursprünglichen, unveränderten Zustand zeigten. Und die man später, viel später, vielleicht für eine hübsche kleine Erpressung nutzen konnte.
Reitzle hatte seinen plötzlichen Reichtum dazu genutzt, sich mit einem italienischen Sportwagen das Leben zu nehmen. Oder – der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen – sollte bei diesem Verkehrsunfall etwa jemand nachgeholfen haben? Um einen Zeugen zu beseitigen, der leichtsinnig wurde? Oder einen Erpresser? Wenn ja, warum lebte Boll dann noch? Und wurde sogar von Graf als Leibwächter engagiert? In einer Vertrauensstellung also? Kein Mensch kommt näher an einen Prominenten heran als seine Bodyguards.
Inzwischen hatte es die Morgensonne über die Dächer der Häuser auf der anderen Straßenseite geschafft und wärmte mein Gesicht. Ich nippte an meinem Cappuccino, der inzwischen auf Trinktemperatur abgekühlt war. Sollte ich doch gleich heute mein Glück bei Elisabeth von Brühl versuchen, alias Sabeth Holland? Ich sah auf die Uhr: bald halb neun. Immer noch zu früh für einen Überraschungsbesuch. Andererseits, bis ich Zähne geputzt, geduscht und mich rasiert hatte …
Die Sonne beschien mich freundlich, als ich den Neckar per Rad – und dieses Mal mit Helm – in Richtung Norden überquerte. Einige Wolkenschleier hielten sich noch, aber auch die würden hoffentlich im Lauf der nächsten Stunden verschwinden. Der Verkehr war noch spärlich. Fußgänger mit Hunden strebten zum Philosophenweg hinauf. Ein weißer Paketwagen fegte um eine Ecke, bremste quietschend. Ich fühlte mich ausgeschlafen und tatendurstig. Theresa war nicht aufgewacht, als ich mich leise angekleidet hatte.
Zehn Minuten später stand ich vor dem hohen und schon leicht angerosteten Gittertor zum Park der dunklen Villa, in der nirgendwo Licht oder andere Spuren von Leben zu erkennen waren. Neben dem zweiflügligen Tor für Gäste, die standesgemäß mit dem Wagen vorfuhren, gab es auch eine Tür für niederes Volk wie mich. Ich drückte den Klingelknopf, der am Pfosten daneben angebracht war, aber nichts geschah. Ich drückte noch einmal, dieses Mal länger. Wieder nichts. Ich spähte eine Weile zwischen den massiven Eisenstäben hindurch. In den Bäumen freuten sich Vögel auf den kommenden Frühling. Es
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