Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
Depp das ganze schöne Geld für ein neues Auto aus dem Fenster, statt dass er sich ein Haus baut oder so. Aber er ist natürlich auch nicht verheiratet gewesen. Nicht mal eine halbe Stunde hat er Freude gehabt an seinem Sportwagen. Schon ein Elend, wenn man sich’s überlegt.«
»Und Boll? Warum ist der später aus dem Polizeidienst ausgeschieden?«
»Eher ausgeschieden worden. Genau weiß ich’s nicht. Nur so viel: Er hat auf einmal zum damaligen Chef gemusst, Wilhelmi hat der geheißen, und wie er wieder rausgekommen ist, hat er gesagt, er hat die Schnauze voll und schmeißt hin.«
»Er hat gekündigt und seine Pension sausen lassen?«
»Sonst wär er vor Gericht gekommen, hat’s geheißen. Aber so richtig was Genaues hat man nie erfahren.«
»Wer könnte mehr darüber wissen?«
»Wieso interessiert Sie das eigentlich, nach so vielen Jahren?«
Ich klärte ihn ausführlich auf. Ich hatte ja jede Menge Zeit.
»Der Wilhelmi ist ein paar Jahre später in Pension gegangen und bald darauf gestorben. Lungenkrebs. Damals ist ja noch viel mehr geraucht worden als heute. Sogar in den Büros. Ich bin bei der Beerdigung gewesen und … Da fällt mir ein: Vielleicht seine Sekretärin? Ich glaub fast, die lebt noch. Wenn ich jetzt noch wüsst, wie die geheißen hat … Einen französischen Vornamen hat sie gehabt. Julienne oder so. Gibt’s das? Ist Julienne ein Vorname?«
Vorsichtshalber notierte ich mir Runkels Erinnerungsbruchstücke und fragte nebenher meinen vom Schicksal so schwer gebeutelten Untergebenen nach seinem Befinden.
»Langweilig«, stöhnte er. »Langweilig ist einem meistens, aber seit ein paar Tagen ist es besser. Ich hab einen alten Kumpel wiedergetroffen, stellen Sie sich vor. Den Werner Schöpf. Wir sind im gleichen Sportverein gewesen, wie wir noch jung waren. Und dann hört man vierzig Jahre lang nichts voneinander, er lebt seit Ewigkeiten in Bonn, und jetzt treff ich ihn ausgerechnet hier in Bad Soden wieder. Er hat den gleichen Scheiß gehabt wie ich, auch so einen Klumpen im Kopf. Aber bei ihm war’s noch ärger als bei mir. Bei ihm hat’s Spitz auf Knopf gestanden.«
Ich wünschte ihm und seinem alten Sportsfreund im Namen aller Kollegen gute Genesung.
»In vier Wochen bin ich wieder an Deck, Chef«, versprach er am Ende. »Die Ärzte sagen, ich mach gute Fortschritte. Nur mit dem Gedächtnis, das ist so eine Sache. Aber sie sagen, das wird wieder – mit der Zeit.«
Damit kannte ich mich aus.
6
Juliette Baldwin lautete der Name der ehemaligen Chefsekretärin, fand Sönnchen heraus – dieses Mal in Rekordzeit. Eine Frau dieses Namens stand sogar im Heidelberger Telefonbuch. Und als ob das nicht genug wäre: Sie lebte nicht weit von mir in der Weststadt. Am Telefon blieb sie zunächst misstrauisch.
»Man hört so schlimme Sachen«, erklärte sie mir mit rauer Altfrauenstimme. »Dass sie einem erzählen, man hätte eine Reise gewonnen oder ein teures Auto.«
Schließlich, als sie ein wenig Vertrauen gefasst hatte, gelang es mir doch, sie zu einem persönlichen Gespräch zu überreden. Nachdem ich geduscht, mich zum ersten Mal seit Tagen wieder ordentlich rasiert und angekleidet hatte, war es fast zwei Uhr am Nachmittag. Ich hatte seit Stunden keine Kopfschmerzen mehr und machte mich auf den kurzen Weg.
Wieder schien mir die kalte Luft gutzutun. Der Himmel war grau verhangen, es roch nach neuem Regen. Ich schlug den Mantelkragen hoch und bewegte mich im Rentnerschritt, um meinen lädierten Kopf nicht zu sehr herauszufordern. Es klappte überraschend gut. Die Schmerzen im Kreuz waren vollkommen verschwunden, stellte ich bei dieser Gelegenheit fest.
In einem Blumengeschäft an der Rohrbacher Straße erstand ich einen kleinen Strauß gelber Tulpen, und zehn Minuten später klingelte ich an der Tür eines viergeschossigen, mäßig gepflegten Mietshauses am nördlichen Ende der Goethestraße. Inzwischen regnete es kräftig. Ich hatte mit knapper Not das Vordach erreicht, bevor die Wolken brachen. Juliette Baldwin wohnte im ersten Obergeschoss rechts und freute sich wie ein Kind über die Tulpen. Die kleine graue Frau mit flinken Augen ließ mich jedoch erst über ihre Schwelle, nachdem sie meine Visitenkarte aufmerksam beäugt und durch ihre starke Brille Wort für Wort entziffert hatte. Aus der Wohnung duftete es nach Kaffee und frisch gebackenem Kuchen.
»Sie erwarten Besuch?«, fragte ich freundlich, als ich endlich im Flur stand und meinen feuchten Mantel auszog. »Ich werde
Weitere Kostenlose Bücher