Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
Gas, er zog nach. Ich bog auf einen Wanderparkplatz ab, schaltete die Lichter aus und wartete. Mein mutmaßlicher Verfolger kam nicht. Ich wartete zwei, drei Minuten – immer noch nichts. Seufzend ließ ich den Motor wieder an, und schon nach wenigen Kurven war er wieder im Rückspiegel. Von dem Fahrzeug konnte ich nichts weiter erkennen, als dass es runde Scheinwerfer hatte und vermutlich kein Kleinwagen war. Vier Kilometer vor Michelstadt war ich überzeugt, dass sich wirklich jemand dafür interessierte, wohin ich unterwegs war. In meinem Magen machte sich ein ungemütliches Gefühl breit, und mein Gehirn signalisierte lebhaft, die verfluchten Kopfschmerzen könnten bald wiederkommen. Ich durfte mich auf keinen Fall aufregen. Es ist jedoch nicht leicht, gelassen zu bleiben, wenn man offensichtlich observiert wird. Nach einer scharfen Rechtskurve eine kleine Ausbuchtung. Ich bremste, hielt erneut an und wartete.
Wieder nichts.
Ich wartete länger.
Immer noch nichts.
Kopfschüttelnd fuhr ich weiter. Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Die ersten Lichter Michelstadts tauchten auf. Hinter mir waren keine runden Scheinwerfer mehr. Dafür plötzlich kräftiger Gegenverkehr. Vielleicht Schichtende in irgendeiner Fabrik. Ich atmete auf. Vermutlich war alles doch nur Einbildung gewesen. Ein harmloser Familienvater auf dem Weg nach Hause hatte zufällig für einige Kilometer denselben Weg gehabt wie ich. Ein Wegweiser: Weiten-Gesäß rechts ab. Noch fünf Kilometer.
»Suchen Sie wen?«, fragte eine kehlige Männerstimme hinter dem hohen Maschendrahtzaun, den ich in der plötzlichen Dunkelheit mehr ahnte als sah.
Als ich mich dem Haus genähert hatte, in dem Johann Boll aufgewachsen war und heute wieder lebte, waren zwei starke Halogenscheinwerfer aufgeflammt und hatten mich geblendet. Ich war einige Schritte nach rechts gegangen, und kurz darauf waren die Scheinwerfer wieder erloschen.
»Ich will zu Herrn Boll«, sagte ich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. »Johann Boll, der wohnt doch hier?«
»Da werden Sie kein Glück haben«, erwiderte der andere in mürrischem Hessisch. »Den hab ich die letzten Tage nicht zu Gesicht bekommen. Was wollen Sie denn von dem?«
»Wir kennen uns von früher, und da habe ich gedacht, ich gucke mal vorbei, wie’s dem alten Johann so geht, wo ich schon in der Nähe bin.«
Der ehemalige Kripobeamte bewohnte ein bescheidenes Häuschen in einer Seitenstraße am östlichen Ortsrand. Im Licht der Halogenscheinwerfer hatte ich gesehen, dass die Außenwände des zweistöckigen Hauses mit grauen Schindeln verkleidet waren. Es duftete nach dem nahen Wald und kühlen, feuchten Wiesen. Allmählich gewöhnten sich meine geblendeten Augen wieder an die Dunkelheit. Ein paar landwirtschaftliche Geräte, die geisterhaft im Licht des eben durch die Wolken brechenden Mondes herumstanden, wirkten verlottert und verrostet.
Durch hohes Gras ging ich mit vorsichtigen Schritten auf den Nachbarn jenseits des Zauns zu. Als ich näher kam, stieg mir der beißende Gestank seiner billigen Zigarre in die Nase.
»Schönen guten Abend«, sagte ich artig.
»Hm«, machte der Nachbar und zog die Nase hoch. »Kann mich überhaupt nicht erinnern, wann der Boll das letzte Mal Besuch gehabt hätt. Woher kennen Sie den überhaupt?«
»Wir waren früher Kollegen. Lange her.«
»Und wo?«
»Sie wissen nicht, wo er früher gearbeitet hat?«
»Würd ich dann fragen?«
Mein argwöhnischer Gesprächspartner war schon im Rentenalter. Er stand auf einem frisch geharkten Kiesweg, trug grobe Kleidung und Gummistiefel. Die ausgebeulte dunkle Hose hing an breiten Trägern. Eine vermutlich handgestrickte Jacke labberte um seinen mächtigen Bauch. Ein feuchter Wind strich über die Wiesen und brachte mich zum Frösteln.
»Eine Firma in Heidelberg«, erwiderte ich entspannt. »Gibt’s inzwischen auch nicht mehr. Der Name würde Ihnen nichts sagen. Was treibt der gute alte Johann denn heute?«
Der Nachbar nahm einen langen Zug von seiner Zigarre. »Gut? Der? Dass ich nicht lach!«
»Sie haben kein gutes Verhältnis?«
»Sie haben viele Fragen.«
Hinter mir wurde es plötzlich wieder taghell. Der andere – vollkommen kahlköpfig, wie ich jetzt feststellte – kniff die Augen zu und fluchte unterdrückt etwas von »Begegnungsmeldern« und »Scheißkatzen«.
»Die ganze Nacht geht das so«, maulte er. »Licht an, Licht aus. Licht an, Licht aus. Ich bin schon bei der Gemeinde gewesen. Aber die? Gute
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