Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
Sie ihm, es geht um Fred Hergarden.«
Sie wiederholte den Namen Silbe für Silbe, ich hörte ihren Stift übers Papier kratzen.
Der Rückruf kam zu meiner Überraschung schon wenige Minuten später. Die Nummer auf meinem Display war lang, die Qualität der Verbindung miserabel.
»Freddy?«, wiederholte Helge Haas mit rauer Stimme. »Klar erinnere ich mich an Freddy.«
»Sie sollen Ende fünfundachtzig zusammen im Irak gewesen sein.«
»Das ist richtig. Die Noricum-Affäre. War ein ziemlicher Aufreger damals.«
Durchs Telefon hörte ich Verkehrslärm. Dröhnende Lkws, anhaltend hupende Autos, in einer unverständlichen Sprache zeternde Frauenstimmen, ein plärrendes Kind, mehrere kläffende Hunde. Dort, wo Haas sich aufhielt, schien es warm und lebhaft zu sein.
»Meine Frage ist: Waren Sie auch Anfang November mit ihm zusammen? Um den zehnten herum?«
Für Sekunden hörte ich nur das Rauschen und Knistern der schlechten Telefonverbindung und den großstädtischen Radau im Hintergrund. Es schien sich um eine Frau zu handeln, die in einer für mich arabisch klingenden Sprache einen Mann beschimpfte, der sich maulfaul und brummig zur Wehr setzte. Schließlich hörte ich auch wieder die Stimme des plötzlich wortkargen Journalisten.
»Muss ich nachsehen. Sie hören von mir.«
Und wieder einmal hieß es warten. Aber wieder dauerte es nicht lange.
»Ich war mit Freddy zusammen und auch wieder nicht«, sagte Haas. Dieses Mal war die Verständigung sehr viel besser. Auch der Lärm vor seinem Fenster war verstummt. Vielleicht hatte er es geschlossen. Haas sprach mit hanseatischem Akzent, bemerkte ich jetzt erst. »Glücklicherweise führe ich seit vielen Jahren so was wie ein Tagebuch. Habe vor, vielleicht später mal ein Buch daraus zu machen. Es ist damals so gewesen: Wir sind am zweiten November von Bagdad aufgebrochen. In Begleitung von zwei Fahrzeugen der irakischen Armee. Zu unserem Schutz angeblich, aber vor allem natürlich, damit wir nichts filmten, was wir nicht durften.«
»Und es ging um diese österreichischen Geschütze?«
»Es gab das Gerücht, einige davon seien an der Südfront im Einsatz. Wir hatten die Hoffnung, heimlich ein paar Bilder knipsen zu können oder ein Filmchen aus der Aktentasche zu drehen. Freddy war Meister in solchen Dingen. Einmal hat er die Exekution von fünf irakischen Deserteuren durch ein Loch in der Tasche seiner Lederjacke gefilmt.«
»Ich glaube, diese Jacke trägt er immer noch.«
»Würde ihm ähnlich sehen. Leider ist aus unserem Plan nichts geworden.«
»Warum nicht?«
»Weil die irakischen Militärs, die auf uns aufpassen sollten, komplette Idioten waren. Wir haben uns x-mal verfahren, weil sie ihre eigenen Generalstabskarten nicht lesen konnten. GPS hatte man damals ja noch nicht. Zu allem Elend waren dann auch noch ihre Informationen über den aktuellen Frontverlauf falsch, und am Ende sind wir unter Beschuss geraten. Von welcher Seite, weiß ich bis heute nicht. Das war am späten Nachmittag des fünften November, kurz vor Sonnenuntergang. Ich habe im hintersten Fahrzeug gesessen, Freddy im mittleren. Er hat dauernd aus dem Fenster gefilmt mit einer Kamera, die so winzig war, dass er sie im Ärmel verstecken konnte. Das Aufzeichnungsgerät war ein ziemlicher Klotz, aber die Irakis waren so was von dämlich, die haben die ganze Zeit nichts gemerkt. Oder vielleicht auch nichts merken wollen. Wir haben sie natürlich großzügig mit Taschengeld versorgt. Und dann ging auf einmal die Ballerei los, irgendwo mitten in der Wüste, zwischen Sanddünen und stacheligem Gestrüpp. Zum Glück war es keine Artillerie, sondern nur zwei oder drei Maschinengewehre. Das Führungsfahrzeug ist sofort in Flammen aufgegangen. Wir anderen konnten wenden und abhauen. Im Abhauen waren die Irakis nämlich Weltklasse. Das mittlere Fahrzeug, in dem auch Freddy saß, ist aber nach ein paar hundert Metern im Sand stecken geblieben, und unser Fahrer hat sich strikt geweigert anzuhalten.«
»Und dann?«
»Dann war ich wieder in Bagdad, und Freddy war weg. Wir hatten zwar Walkie-Talkies, aber die reichten nur ein paar Kilometer weit. Satellitentelefone gab’s damals auch noch nicht. Zehn Tage lang hatten wir keine Nachricht von ihm. Null. Und dann, eines schönen Morgens, war Freddy auf einmal wieder da. Das war am Dreizehnten, lese ich hier.«
»Vier Tage, nachdem seine Frau gestorben war …«
»Angeblich hatten irakische Militärs ihn festgesetzt und ihm eine Menge peinliche
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