Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
dieses Mal nichts, was mich in irgendeiner Weise klüger machte. Die damaligen Kollegen hatten gute Arbeit geleistet, nicht nur die Tote und die unmittelbare Umgebung fotografiert, sondern auch alle möglichen Details, die irgendwann einmal vielleicht wichtig sein könnten. Die nahezu leere Sektflasche, das elegante hohe Glas mit blutrotem Lippenstift am Rand, das neckische, halb durchsichtige Nachthemdchen, den hochhackigen Schuh, der etwa zwanzig Zentimeter von dem Fuß entfernt lag, an den er gehörte …
Welche Frau trägt eigentlich Lippenstift und hohe Schuhe, wenn sie im Begriff ist, ins Bett zu gehen, und ihren Ehemann dreitausend Kilometer entfernt weiß? Eine Frau, die dennoch nicht allein in ihrem Bett liegen wird, zum Beispiel. Oder eine Frau, die mit dem Kommen ihres Mannes rechnet. Aber hätte sie dann die Sektflasche allein geleert?
Ein anderes Bild zeigte die unversehrte Wohnungstür, den Schlüsselbund, der am Schloss baumelte, die eingehängte Sicherheitskette. Ich blätterte weiter und wieder zurück. Moment mal – ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn – wie konnte die Kette eingehängt sein, wenn die Kollegen doch offensichtlich schon in der Wohnung waren? Gab es etwa einen zweiten Eingang? Über die Terrasse vielleicht? Das musste ich dringend überprüfen lassen. Das wäre ja … Plötzlich waren meine Hände feucht.
Der Brief, der neben dem zertrümmerten Couchtisch auf dem Parkett lag, fiel mir wieder ins Auge. Ich kramte eine Lupe aus einer der unteren Schreibtischschubladen. Natürlich war auch mit Vergrößerung nichts von dem auf einer Schreibmaschine getippten Text zu entziffern. Aber das Firmenlogo in der rechten oberen Ecke, das konnte ich immerhin lesen: »HaBeFilms«.
Eine Firma dieses Namens existierte auch heute noch, wusste ich Sekunden später, und zwar in Köln. Der junge Mann, der sich nach dem ersten Tuten meldete, klang, als wäre er kolossal erfolgsorientiert und außerdem etwas in Eile. Und er amüsierte sich königlich über meine Frage.
»Nach wie vielen Jahren? Neunundzwanzig? Wir sind hier schon froh, wenn wir die Unterlagen von der vorvergangenen Woche wiederfinden!«
»Es gibt nicht so etwas wie ein Archiv bei Ihnen?«
»Sämtliche Akten und Schriftwechsel werden nach der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vernichtet. Falls jemand in diesem schöpferischen Chaos zufällig daran denkt, natürlich. Außerdem ist die HaBe in den drei Jahrzehnten gefühlte hundertmal umgezogen. Worum geht es überhaupt?«
»Um einen Brief aus dem November fünfundachtzig. Empfängerin war eine Frau Viktoria Hergarden.«
»Wer sollte das sein?«
»Eine offenbar ziemlich unbekannte Schauspielerin.«
»Sie haben den Brief vorliegen?«
»Leider nein. Ich sehe ihn nur auf einem Foto, und das Einzige, was ich lesen kann, ist das Emblem Ihrer Firma.«
»Ist der Text eher lang oder eher kurz?«
»Drei Zeilen.«
»Dann wird es eine Absage gewesen sein.«
»Das würde bedeuten, sie hätte sich bei Ihnen beworben?«
»Wahrscheinlich eine Blindbewerbung. So was haben wir hier häufig. Und da kommt mir, hm, hm, hm, gerade ein vielleicht gar nicht mal so dummer Gedanke …«
Ich hörte meinen Gesprächspartner eifrig mit Papier rascheln.
»Gab’s damals eigentlich schon PCs?«, fragte er nebenbei.
»Waren gerade erst erfunden, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Diese mausgrauen Blechkisten mit fünf Megabyte Festplatte?«
»Ungefähr so, ja.«
»Aber noch kein Internet, nehme ich an?«
»Das kam zehn Jahre später, glaube ich.«
»Wir führen hier nämlich eine Datenbank, müssen Sie wissen, in der sämtliche Darsteller landen, die sich bei uns bewerben. Falls man mal nach etwas Speziellem sucht, für eine bestimmte Rolle. Wirklich gebraucht hat man das zwar eher selten, aber mit schönen alten Gewohnheiten soll man ja nicht ohne Not … Neunzig … Neunundachtzig … Hm, hm, hm … Da scheint eine arme Praktikantin als Strafarbeit die ganzen ollen Kamellen in die EDV eingepflegt zu haben, bevor das Zeug geschreddert … Fünfundachtzig … Bingo! Es geschehen tatsächlich noch Zeichen und Wunder, selbst in diesem Megachaos, das Sie irrtümlich als Firma bezeichnen.«
»Wie läuft das eigentlich, wenn man sich bei Ihnen bewirbt?«
»It depends. Die meisten wollen einfach nur Filmstar werden und bewerben sich querbeet. Das ist natürlich Blödsinn, die kriegen oft nicht mal Antwort. Frau Hergarden hatte sich auf ein bestimmtes Projekt beworben, sehe ich
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