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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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Sonne des Spätnachmittags hing tief über dem Horizont, der Wind strich ihr kalt über das Gesicht, und die kräftige Salzluft füllte ihre Lunge. Aus dem Hafen von Konstantinopel waren sie durch das Marmarameer gesegelt und befanden sich jetzt im Mittelmeer. An den seither vergangenen Tagen hatte sie sich allmählich an die durch das Stampfen und das leichte Schlingern des Schiffs verursachten Bewegungen des Decks ebenso gewöhnt wie an die Kniehose, die man ihr geliehen hatte, weil Tunika und Dalmatika angesichts der Beengtheit des Schiffs und der Notwendigkeit, ständig Treppen hinauf- und hinabzusteigen, hinderlich waren. Giuliano hatte ihr diesen Wechsel vorgeschlagen, und schon nach wenigen Stunden hatte sich die anfängliche Befangenheit gelegt, die sie in der ungewohnten Kleidung empfunden hatte.
    Er hatte viel zu tun und benötigte all seine Kenntnisse und Fertigkeiten, um das Schiff, dessen Besatzung er kaum kannte, in dieser Jahreszeit südwärts gegen die von Ägypten kommende, vorüber an Palästina nordwestwärts drängende Meeresströmung zu steuern.
    Als sie Schritte hinter sich hörte, brauchte sie sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass er es war.
    »Wo sind wir?«, fragte sie, als er neben sie trat.
    »Da vorn liegt Rhodos«, sagte er und begleitete die Worte mit einer entsprechenden Handbewegung. »Und dort weiter südöstlich Zypern.«
    »Und Jerusalem?«, fragte sie.
    »Noch weiter. Da drüben geht es nach Alexandria.« Er machte eine leichte Drehung und wies nach Süden.
»Im Westen geht es nach Rom, und nördlich davon liegt Venedig.«
    »Ist Venedig sehr schön?« Sie wollte hören, wie er eindringlich und liebevoll von der Stadt sprach.
    Mit einem Lächeln erklärte er: »So wie dort ist es nirgendwo. Es ist so schön, dass man glaubt, in einem Traum zu leben. Diese Schönheit berühren zu wollen wäre wie der Versuch, den Mondschein mit einem Netz einzufangen. Und doch ist sie so wirklich wie Marmor und Blut und so grausam wie Verrat.« In seinem Blick mischten sich Begeisterung und Bedauern.
    Der Nordwind wurde stärker und setzte den Wellenkämmen weiße Schaumkronen auf. Während Anna darauf wartete, dass er weitersprach, gab sie sich beglückt dem Geräusch des Wassers und dem Knarren der Masten hin.
    »Aber ich habe einen ziemlich guten Rotwein«, fuhr er fort. »Kommt, wir trinken ihn gemeinsam zum Abendessen. Es gibt zwar nur Schiffskost, aber sie ist gar nicht schlecht.«
    Sie nahm sich vor, alles von sich zu schieben, was nicht zur Gegenwart gehörte, und nahm die Einladung an.
    Es war eine gute Mahlzeit, auch wenn sie kaum merkte, was sie aß oder trank. Ihr war lediglich bewusst, dass der Wein süß und feurig war. Sie unterhielten sich über dies und jenes, über Orte, die sie gesehen, Menschen, die sie gekannt hatten. Je länger sie ihm zuhörte, desto stärker fühlte sie sich dem Guten in ihm verbunden, und desto weniger würde sie ihm je die Wahrheit sagen können. Er sah in ihr einen Mann, den er nie als Nebenbuhler würde fürchten müssen. Ihr war bewusst, dass die Freundlichkeit, mit der er sie behandelte, zum Teil damit zu tun hatte, dass er ein wirklicher Mann war, einer, dem es gegeben war, die leiblichen
Freuden des Lebens auf eine Weise zu genießen, die Anastasios verwehrt blieb, und sie staunte über das Feingefühl, mit dem er nie auf derlei Dinge zu sprechen kam.
    Sie verließ seine Kajüte gegen zwei Uhr morgens, als er an Deck gebraucht wurde, weil sich das Wetter verschlechterte. Sie hatte mehr Wein getrunken als gewöhnlich, und als sie die Tür ihrer eigenen Kammer schloss, liefen ihr heiße Tränen über das Gesicht, aber sie war nicht bereit, dem Selbstmitleid oder dem Bedauern über etwas nachzugeben, was sie ganz bewusst aus ihrem Leben ausgeschlossen hatte. Das Einzige, was ihr blieb, waren Freundschaft, gemeinsames Lachen, Vertrauen und gegenseitige Toleranz.

KAPİTEL 59
    Nachdem sie Zypern umrundet und den im Osten der Insel gelegenen Hafen von Famagusta angelaufen hatten, mussten sie durch schweres Wetter gegen den Wind kreuzen. Die Mastbäume knarrten, wenn die riesigen schweren Segel abwechselnd leerschlugen und sich erneut füllten. Anna bewunderte jedes Mal aufs Neue das Geschick, mit dem die Seeleute immer wieder alle erforderlichen Handgriffe genau im richtigen Augenblick ausführten.
    In mehreren Etappen ging es an der Küste Palästinas entlang nach Süden. Sie legten erst in Tyros, dann in Sidon und schließlich im großen,

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