Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Ihre Beleidigungen anzuhören. Ich möchte mich nicht noch einmal beim Polizeipräsidenten über Ihr Verhalten beschweren müssen.«
Inschs Miene verfinsterte sich, doch er erwiderte nichts.
»Nun denn«, fuhr der Anwalt fort, während er auf der Tastatur des Laptops tippte, »ich habe hier eine Kopie des Strafantrags gegen meinen Mandanten. Ich möchte mich mit ihm unter vier Augen beraten, ehe wir eine formelle Aussage machen.«
»So?« Insch verließ seinen Platz an der Wand, stemmte die mächtigen Fäuste auf den Tisch und beugte sich drohend über Chalmers. »Tja, und wir würden Ihren ›Mandanten‹ gerne fragen, warum er ein vierjähriges Mädchen ermordet und die Leiche in den Müll geworfen hat!«
Chalmers sprang von seinem Stuhl auf.
»Das war ich nicht! Könnt ihr denn nicht zuhören, ihr Idioten? Gar nichts hab ich getan!«
Sandy Moir-Farquharson legte Chalmers eine Hand auf den Arm. »Beruhigen Sie sich. Sie müssen überhaupt nichts sagen. Setzen Sie sich einfach wieder hin und überlassen Sie mir das Reden, okay?«
Chalmers sah seinen Anwalt an, nickte und ließ sich langsam wieder auf seinen Stuhl sinken.
Insch hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
»Also, Inspector«, fuhr Moir-Farquharson fort, »wie ich bereits sagte, würde ich gerne unter vier Augen mit meinem Mandanten sprechen. Danach werden wir Ihnen bei Ihren Ermittlungen behilflich sein.«
»So läuft das nicht.« Insch funkelte den Anwalt an. »Sie haben keinerlei Rechtsanspruch darauf, mit diesem kleinen Arschloch hier zu konferieren. Dass Sie hier sein dürfen, ist ein reines Entgegenkommen unsererseits.« Er beugte sich so weit vor, dass kaum noch ein Blatt Papier zwischen seine Nase und die des Anwalts gepasst hätte. »Ich bestimme hier, wo es langgeht, nicht Sie.«
Moir-Farquharson blickte ruhig lächelnd zu ihm auf. »Inspector«, sagte er, ganz die Stimme der Vernunft, »mir sind die Launen des schottischen Rechts sehr wohl bekannt. Dennoch möchte ich Sie bitten, mir als Zeichen des guten Willens zu gestatten, unter vier Augen mit meinem Mandanten zu sprechen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann sitzen wir hier bis in alle Ewigkeit. Oder zumindest bis die sechs Stunden, die Sie Ihren Verdächtigen festhalten dürfen, um sind. Es liegt nur an Ihnen.«
Insch warf ihm noch einen grimmigen Blick zu, stopfte die Lakritztüte in die Tasche und verließ den Raum, gefolgt von Logan und Constable Watson. Draußen auf dem Flur war es wesentlich kühler, wenn auch die Luft erfüllt war von Schimpfwörtern.
Nachdem er den Anwalt in Grund und Boden verflucht hatte, trug Insch Watson auf, die Tür zu bewachen. Er wollte verhindern, dass einer der beiden sich heimlich aus dem Staub machte.
Sie schien nicht gerade begeistert. Es war kein sehr ruhmvoller Auftrag, aber so war das eben, wenn man eine einfache Polizistin war. Eines Tages würde sie auch zur Kripo gehören, und dann würde sie diejenige sein, die den Uniformierten befahl, an Türen Wache zu stehen.
»Und noch was, Constable.« Insch beugte sich vor, und seine Stimme wurde zu einem verschwörerischen Flüstern. »Das war ein Fall von blitzsauberer Polizeiarbeit heute – das mit dem Supermarkt-Kassenbon. Ich werde deswegen ein gutes Wort für Sie einlegen.«
Sie strahlte. »Danke, Sir.«
Logan und der Inspector überließen sie ihrem Schicksal und machten sich auf den Weg zurück in die Soko-Zentrale.
»Warum musste es ausgerechnet er sein?«, fragte Insch und parkte seinen Hintern auf der Kante eines Schreibtischs. »Ich soll in zwanzig Minuten bei der Generalprobe sein!« Er seufzte – ausgeschlossen, dass er es noch rechtzeitig schaffen würde. »Jetzt werden wir nichts mehr aus Chalmers rauskriegen. Der Herr erlöse uns von Advokaten mit einer Mission!«
Sandy Moir-Farquharson war berüchtigt. In der ganzen Stadt gab es keinen Strafverteidiger, der ihm das Wasser reichen konnte. Aberdeens Staranwalt hatte alle Qualifikationen, um die Schuldigen vor Gericht zu verteidigen, und er tat es auch. Seit Jahren versuchte die Staatsanwaltschaft, ihn auf ihre Seite zu ziehen, ihn dazu zu bewegen, als öffentlicher Ankläger aufzutreten und mitzuhelfen, Straftäter hinter Gitter zu bringen, anstatt Freisprüche für sie herauszuholen. Aber dieser gerissene Bastard wollte nichts davon wissen. Er hatte eine Mission, und die bestand darin, Justizirrtümer zu verhindern! Die Unschuldigen zu schützen! Und seine Visage bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Fernsehen zu
Weitere Kostenlose Bücher