Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
wieder, und ich stolpere bei dem Versuch, meine Schritte mit seinen zu synchronisieren. Wir gehen am Raucher vorbei, der von unserer Performance sicher enttäuscht ist, ohne Koffer fehlt uns der Schwerpunkt, und einen anderen zu finden wagen wir nicht.
Als die Hauptstraße immer näher kommt, an deren Ende irgendwo mein Auto auf mich wartet, packt mich schließlich eine seltsame Verzweiflung, und ich stelle die dümmste aller nur denkbaren Fragen. Sie ist dumm, weil sie nach einer schmeichelhaften oder einer enttäuschenden Antwort schreit, aber auf den letzten fünfhundert Metern hat man nicht mehr viel zu verlieren.
»Was hat dich eigentlich so fasziniert an mir, da drinnen im Meditationsraum?«
Simon zögert keine Sekunde. »Deine Einsamkeit«, sagt er. »Deine Trauer. Die Haltung, mit der du beides trägst.«
»So etwas findest du faszinierend? Das glaube ich dir nicht.«
»Mila, möchtest du heute Nacht hierbleiben?«
Die Frage kommt nicht völlig überraschend, nur in diesem Zusammenhang hätte ich nicht mit ihr gerechnet, allerdings sind es auch Simons letzte fünfhundert Meter.
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre«, sage ich. Bis eben fand ich diesen Satz noch großartig, nach allen Seiten hin offen und doch so schön abgeklärt, aber jetzt, wo ich ihn ausspreche, hört er sich an, als hätte ich ihn aus einer beschissenen amerikanischen Filmserie übernommen. Er klingt genauso verlogen, wie er ist. Ich brauche einen anderen.
»Doch. Ja. Ich würde sehr gern hierbleiben.«
Wenigstens einer von uns müsste jetzt etwas souveräner mit der Situation umgehen können, denke ich, aber zunächst fällt weder ihm noch mir etwas ein, und so stehen wir einfach da und lächeln uns vorsichtig an und werden wieder ernst und lächeln und werden wieder ernst. Ein Lastwagen donnert vorbei. Die Welt um uns herum hält keineswegs den Atem an, der Welt würde nichts fehlen, wenn wir es bleiben ließen.
»Dann holen wir jetzt dein Auto«, sagt Simon schließlich, und zusammen legen wir die restliche Stecke wie zwei Komplizen zurück, Seite an Seite. Unsere Arme und Hände streifen sich beim Gehen, ständig passiert das, aber wir legen es nicht darauf an, oder vielleicht ja doch. Eine Frau mit Hund kommt uns entgegen und nimmt die gesamte Mitte des Bürgersteigs für sich in Anspruch, und wir trennen uns erst in allerletzter Sekunde, als sich schon Empörung auf ihrem Gesicht breitgemacht hat. Nur ein Schritt, und wir stoßen hinter ihr wieder zusammen, mit Körpern, die gut verpackt in Leder und zarte Winterdaunen sind und die sich jetzt schon so anfühlen, als wären sie lieber nackt.
In meinem Wagen ist es kalt, und die Fensterscheiben beschlagen sofort, nachdem wir losgefahren sind, aber das macht nichts, den Weg kenne ich jetzt auswendig. Ich lasse das Fenster herab und die kalte Novemberluft ins Innere, die Straßenbeleuchtung versucht mich herauszufordern und bringt Simons Ehering zum Funkeln, doch ich atme Gleichmut, es ist, wie es ist. Vielleicht wäre ich gern eine, die nie was mit verheirateten Männern anfangen würde, aber in Wirklichkeit habe ich schon vor Jahren diese Art von Unschuld verloren, und jetzt damit aufhören zu wollen, käme mir genauso unsinnig vor wie der Vorsatz, mich nur noch in Fluglotsen oder Männer mit buschigen Augenbrauen zu verlieben.
Vor der Kneipe steht eine kleine Gruppe von Leuten, aber der Raucher von vorhin ist nicht mehr dabei. Ich frage mich, ob er wohl einer gewesen ist, der sich gern Dinge zusammenreimt, und ob er das, was vor seinen Augen begonnen hat, zu Ende zu reimen versuchen wird, und wenn ja, was wohl dabei herauskommt.
»Aber du bist kein Fluglotse«, sage ich zu Simon, und mir wird bewusst, dass ich heute Abend nicht das Geringste über ihn erfahren habe, außer dass in seinem Regal ein Buchrücken mit meinem Namen steht. Umgekehrt weiß Simon eine Menge darüber, was ich alles nicht bin. Eigentlich ist es eine sehr ausgewogene Situation.
Simon lacht und sagt Nein, und wir halten auf dem kleinen, völlig verlassenen Parkplatz hinter dem Hotel. Bevor wir aussteigen, gibt es einen kleinen, delikaten Moment des Zögerns, vielleicht erinnern wir uns beide gerade daran, wie wir es früher gemacht haben, an das Übereinander-Herfallen in dunklen Autos, an Hände, die an Reißverschlüssen und Knöpfen zerren, und Münder, die sich suchen und fast verfehlen, und das leise Klacken, wenn Zähne aufeinandertreffen. Nichts spricht dagegen, das gleich noch
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