Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
aber an der Kasse muss ich noch einmal umkehren, weil ich die Strumpfhosen vergessen habe. Allein beim Studieren der Größentabellen bricht mir der Schweiß aus, doch an dieser Stelle greift endlich jemand vom Verkaufspersonal ein und berät mich genervt, aber kompetent.
Meine angekündigte Stunde ist deutlich überschritten, als ich wieder auf der Straße stehe. Ich denke an Simon im Hotelzimmer. Ich denke an den Geruch in seiner Halsbeuge und an seine Hände auf meinen Brüsten, und mein Körper revanchiert sich mit weichen Knien und einer Flut süßer, ziehender Sehnsucht, deren Ursprung entweder mein Herz oder meine Vagina ist, so genau lässt sich das nicht feststellen. Ich gehe los. Mit meinem genialen Orientierungssinn versuche ich, Simons Abkürzung nachzulaufen und renne Hunderte von Meter konsequent in die falsche Richtung, bis ich meinen Irrtum bemerke. Meine Großeltern und die Leute aus dem Dorf werden schon gewusst haben, warum sie mich damals bis zur Bushaltestelle eskortierten. Ich hätte Simon nach seiner Handynummer fragen sollen, um ihm wenigstens Bescheid sagen zu können, dass ich mich in dieser elenden Kleinstadt verlaufen habe. Als ich endlich das Hotel am Ende der Straße auftauchen sehe, bin ich genervt von mir selbst. Ich mag keine Frauen, die zu spät kommen.
Der Mann an der Rezeption ist immer noch derselbe wie am Mittag. Er hat den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und starrt mit einer Mischung aus Entzücken und Ungläubigkeit auf seinen Computermonitor. Ich beeile mich, an ihm vorbeizukommen, dankbar, dass mir Nachfragen zu meinen Einkaufserfolgen erspart bleiben, aber sein Anblick erinnert mich daran, dass wir die Kerzen vergessen haben. Die Anzeige über dem Fahrstuhl bleibt beharrlich auf der Drei stehen, also nehme ich die Treppe und erreiche Nummer 23 so atemlos, wie es der Situation angemessen ist. Für den Fall, dass ich lieber nicht nach ihrem Inhalt gefragt werden möchte, stopfe ich schnell noch die Plastiktüte mit meinen Einkäufen tief in meine Handtasche. Ich klopfe und höre Simons eilige Schritte, er reißt die Tür auf, er sieht blass aus und nicht wirklich glücklich, er sagt nur Mila und zieht mich ins Zimmer, so schnell, dass ich stolpere, und er fängt mich auf und hält mich fest und sagt immer wieder Mila, Mila, Mila, und ich weiß nicht, warum ich auf der Stelle anfangen könnte zu heulen, wo ich doch so unendlich froh bin, wieder bei ihm zu sein.
Ich lasse meine Tasche fallen, und Simon schiebt mir den Mantel von den Schultern und nimmt mein Gesicht in beide Hände. Ich finde meine Stimme seltsam kindlich, als ich sage: »Ich wollte gar nicht so lange wegbleiben«, und Simon antwortet: »Aber du bist doch da«, und dann küssen wir uns, als hätten wir danach nie wieder Gelegenheit dazu, wir greifen uns in die Haare und reißen an den Kleidern des anderen, wir keuchen, wir machen Laute wie klagende Tiere, wir lachen nicht. Statt zu sinken, krachen wir auf den Boden, wir rollen auf dem Teppich herum und ziehen uns gegenseitig mit Zähnen und Händen und Füßen aus, schleudern alles Abgelöste von uns, bis wir nackt sind, herzfasernackt. Ich stoße mit dem Kopf an die Wand und dann gegen eine Sesselkante, und Simon holt mich dort weg und dreht sich auf den Rücken und zieht mich auf sich. Ich stemme mich hoch, um sein Gesicht zu sehen, es ist ernst und mit blanken, dunklen Augen voller ungeklärter Fragen, die ich nicht beantworten kann, nicht jetzt. Und ich setze mich auf ihn und er findet in mich hinein und ich halte seinen Blick fest, während ich mich vor- und zurückbewege, langsam, entschlossen und erschüttert von so viel namenloser Tiefe. Sieh mich an, Simon. Das bin ich. Ich bin stark. Ich weiß, wie Lieben geht und wie man wieder abhaut, du bist frei, ich bin frei, wir können das, glaub mir, Simon. Lass uns feiern. Fühl doch mal. Wie. Nah. Du. Mir. Kommst.
Simon gibt mir ein Zeichen mit der Hand und beginnt sich langsam aufzurichten. Ich beuge mich nach hinten, so weit ich das kann, ohne dass er aus mir herausgleitet, und einen Moment verharren wir in einer merkwürdig schwebenden Balance, bis ich begreife, was er vorhat, und meine Füße nach vorn hole und hinter seinem Rücken kreuze, während er meinen Hintern ein Stück anhebt und seine Beine unter mir verschränkt. Ich will Simon erzählen, dass mein Herz wahrscheinlich gerade bricht, oder irgendetwas anderes, Hauptsache, es kommt Liebe darin vor, aber er legt mir seinen
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