Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Fickmaus. Weiterhelfen gehört selbstverständlich zum Service unseres Hauses.
Alle Variationen dieses Dialogs führen auf direktem Weg in die Würdelosigkeit. Das kann ich mir ersparen, zumal ich nicht glaube, dass ein seriöser Rezeptionist die Namen seiner Gäste an Fickmäuse weitergibt. Entweder warte ich, bis Gerald übernächste Woche wieder ansprechbar ist, oder ich habe das unwahrscheinliche Glück, dass mir der Begrüßungstext vom Hotelmonitor aus Zimmer 23 im Traum erscheint. Was für einen Blödsinn ich hier treibe. Wenn es überhaupt irgendwelche Zeichen des Schicksals gibt, dann die, dass alle Türen versperrt sind oder mit Spezialeffekt vor mir zufallen, sobald ich nur die Hand erhebe, um sie zu öffnen. Ich kann nichts machen. Und Simon wird seine Meinung nicht ändern. Oder vielleicht doch. Ich muss Geduld haben. Ich muss hier weg.
Marek ist nach dem zweiten Klingeln am Apparat. Klar, milusi´nska , das Angebot war ernst gemeint. Wir freuen uns. Bis heute Abend. Und bring die Vollmachten mit.
Mila milusi´nska. Wenn Marek mich früher ärgern wollte, brauchte er nur etwas auf Polnisch zu sagen oder schlimmer noch, auf Polnisch zu singen. Er war gerade mal zehn, als er den ganzen Text von »Sen o dolinie« auswendig lernte, als wäre »Ain’t no Sunshine« im Original nicht schon Strafe genug gewesen. Ich mag diese Sprache nicht, sie riecht nach Kohlrouladen und sie klingt wie ein Mund voller Kohlrouladen. Kein Wunder, dass Simons polnischer Annäherungsversuch fast schon das vorzeitige Ende zwischen uns eingeleitet hätte. Milusi´nska ist eines der wenigen aushaltbaren Wörter, genau genommen ist es das einzige, das ich Marek heute noch durchgehen lasse, milusi´nska, Kleine. Er weiß das. Natürlich hält er sich nicht dran.
Ich gehe in die Küche, um mir einen zweiten Kaffee zu machen. Draußen auf dem Balkon liegen die Überreste von Hannes’ Rosenstrauß, den der Sturm erst zerpflückt und dann in einer Ecke als Haufen wieder zusammengefügt hat. Ich finde im Küchenschrank noch eine angebrochene Packung weicher Butterkekse. Sie schmecken wie neu, wenn man sie in den Kaffee taucht. Ich sehe durch die Glastür auf die Rosen und denke Hannes, alter Kumpel. Bevor ich hier abhaue, muss ich das noch in Ordnung bringen.
Auf meinem Arbeitstisch im Nebenzimmer liegen Notizen, die ich mir vor ein paar Wochen beim Gespräch mit Herrn A. gemacht habe, einem von Hannes’ Kunden. Es sind markante Ereignisse aus dem Leben des Herrn A., seine persönliche Heldenreise sozusagen, die sich aus tristen Stationen wie Einschulung, erste Liebe, erstes Auto, Hochzeit, Kinder, Motorradunfall, nächste Liebe zusammensetzt und die ich später in mystische Initiationssymbole, tantrische Vereinigungen von vollendeter Schönheit, Fegefeuer und Drachenkämpfe verwandeln werde. Das ist meine Kunst. Ich bin die Königin der Backpieces, meine tollkühnen Lebensentwürfe spielen sich für immer und ewig in winzigen schwarzen Punkten auf den Rücken ihrer Helden ab, sofern sie sich die Preise in Hannes’ Tätowierladen leisten können. Dafür bekommen sie ein telefonisches Einzelgespräch mit mir, in dem sie mir ihre Lebensgeschichte erzählen, ihre Leidenschaften, ihre Glücksmomente. Wenn ich ihnen sage, dass man jede Niederlage auch als eine Prüfung verstehen kann, erzählen sie mir noch mehr von sich. Es sind erstaunlich normale Menschen mit einem normalen Lebenslauf, die den Preis eines gebrauchten Mittelklassewagens in eine Rückentätowierung investieren, auf der dieses Leben abgebildet ist. Manche wünschen sich tatsächlich einen Entwurf, auf dem später noch relevante Episoden nachgetragen werden können. Hannes redet ihnen das aus, wahrscheinlich, weil er immer schon geahnt hat, dass ich früher oder später damit aufhören werde und er niemanden finden wird, der meinen Stil übernimmt.
Ich hatte noch nie eine Tätowiernadel in der Hand und habe auch kein Verlangen danach. Ich mache noch nicht einmal Vor-Ort-Besichtigungen der jeweiligen Rücken, weder vorher noch nachher und schon gar nicht während der Behandlung. Hannes liefert mir Aufnahmen und die wichtigen anatomischen Details, ich zeichne die Entwürfe und später die korrigierten Originale auf Papier. Zwei- oder dreimal hat er mir Fotos von der fertigen Arbeit gezeigt, ich fand es schauderhaft, aber ich habe Hannes’ kongeniale Umsetzung gelobt, und genau das wollte er auch von mir hören.
In Wirklichkeit halte ich mich für mittelmäßig begabt,
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