Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Praxiszentrale und per E-Mail erreichbar. Marek bietet mir an, ihre Privatnummer zu ermitteln, was jetzt, wo wir ihren vollen Namen kennen, ein Klacks sein dürfte, aber ich winke ab. Nicht schon wieder telefonieren. Falls sie sofort auflegt, nachdem ich mein Anliegen vorgetragen habe, bekomme ich keine zweite Chance mehr. Ich werde ihr schreiben. Kurz, knapp, unwiderstehlich. Sie muss gar nicht anders können, als mich zurückzurufen. Während Marek in einem neuen Bildschirmfenster Simon mit Solaranlagen und Personalberatern zu kombinieren beginnt, entwerfe ich in Gedanken mein Schreiben. Sehr geehrte? Hallo? Liebe?
»Mila, ich hab keine Lust mehr«, sagt Marek nach einer Weile. »Vielleicht schafft man’s mit der Brute-Force-Methode, aber das kann Stunden dauern. Halt dich lieber erst mal an die Hexe.«
»Tausend Dank«, sage ich. »Wirklich, ohne dich wäre ich niemals so weit gekommen.«
»Gern geschehen.« Marek schaut auf seine Uhr. »Helmut wird demnächst nach Hause kommen. Wenn wir noch über unsere Familiengeschichte reden wollen, sollten wir das jetzt machen. Du hattest nach dem Deal von Alicja und Klaus gefragt.«
»Du machst ein Gesicht, als würdest du mir gleich sagen, sie wären in Wirklichkeit Sowjetspione gewesen.«
»Nicht ganz so spektakulär. Klaus hatte seine Geschäftsunterlagen gut geordnet hinterlassen, bevor er seine letzte Reise mit Alicja machte. Ich habe ziemlich viel Zeit mit seinen Steuerberatern verbracht, aber im Grunde war alles recht überschaubar. Und es gab jede Menge Ordner mit alten Originalbelegen von privaten Ausgaben, die entweder nicht mehr gebraucht wurden oder nie abgesetzt werden konnten. Ich hätte das Zeug einfach wegschmeißen können.«
»Hast du aber nicht.«
»Ich war viel zu neugierig, zu erfahren, wofür die beiden eigentlich ihr Geld rausgehauen haben. Offenbar betraf das meiste die Freizeitgestaltung von Klaus. Rechnungen von Eventagenturen und einer ›Mystery Erlebnisgastronomie GmbH‹. Hostessen, die vier Fremdsprachen konnten, gebucht über einen Escortservice. Und das Ganze nicht schamhaft versteckt, sondern korrekt abgelegt. Ich gehe davon aus, dass Alicja davon wusste. Das war ihr Deal, vermute ich. Die sexuellen Dienstleistungen erbrachten andere. Dafür war sie in Sicherheit.«
Ich kann nichts dazu sagen. Ich bin nicht schockiert. Im Gegenteil, mir erscheinen meine Eltern plötzlich menschlicher und verletzbarer, als ich sie je wahrgenommen habe. Ja, Marek hat recht, alle haben irgendeinen Deal.
»Ich fand nicht, dass das ein schmutziges Geheimnis war, das man dir lieber nicht verraten sollte«, sagt Marek. »Aber du warst immer wie ein offenes Klappmesser, wenn die Rede auf Klaus und Alicja kam. Ich wollte da nicht reinrennen. Ich dachte, irgendwann wird der richtige Moment schon kommen, um es dir zu erzählen.«
Wir hören beide, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt und umgedreht wird, dann das Öffnen und Zufallen der Haustür.
»Und du und Helmut?«, sage ich schnell. »Habt ihr auch einen Deal?«
»Klar doch«, sagt Marek und zwinkert mir zu, und dann steht er auf und geht zur Tür, seinem Liebsten entgegen.
7.
Die Stimme von Sigrid Pujari Kasper ist ungewöhnlich tief. Sie spricht langsam und akzentuiert. Hat Simon das R nicht auch ganz leicht gerollt, so wie sie? Ich bin mir nicht sicher. Ich bin mir in nichts sicher. Zu früh, viel zu früh hat sie zurückgerufen und mich auf dem Weg ins Bett kalt erwischt, keine zwei Stunden, nachdem ich meine Mail an sie abgeschickt habe, die im Übrigen alles andere als originell formuliert war. Wie will ich jetzt sein? Lässig, gefasst, oder lieber ein wenig verzweifelt? Soll ich an ihr Helfersyndrom appellieren, an Frauensolidarität? Ohne nähere Kenntnisse der Geschichte gibt es für sie keinen Grund, Frauensolidarität zu praktizieren, und von Hotelzimmern oder gar Liebe ist in meiner Mail nicht die Rede gewesen. Wenn es richtig schlecht läuft für mich, wird sie mich für eine Stalkerin halten und sofort Simon anrufen, und das ist das Letzte, was ich möchte.
Sie entschuldigt sich für den Anruf zu so später Stunde und kommt gleich zur Sache, ja, sie habe einen Bruder, der Simon hieße und mit einer Connie verheiratet sei und einen Sohn namens Lukas habe. Und was genau ich eigentlich von ihr wolle? Als ich sage, ich bräuchte Simons Adresse oder Telefonnummer, handle ich mir prompt die Belehrung ein, für so etwas gebe es schließlich die Auskunft. Recht hat sie. Um sie bei ihrem
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