Die einsamen Toten
richtig gepasst hatte, und die alte Frau mit dem Strickhut, den sie fest über eine Wolke weißer Löckchen gezogen hatte. Und dann war da noch der kleine Mann mit dem Spazierstock, der seine Knie nicht richtig durchdrücken konnte, der viel langsamer als alle anderen war und sich an seinem Einkaufswagen festhielt, um überhaupt laufen zu können.
Bald hatten die Ersten aus der Gruppe angefangen, ihn zu grüßen, als hätten sie ihn in ihren Club aufgenommen. Sobald sie im Laden waren, vollzog jeder eine Art Ritual. Manche stöberten am Gemüsestand herum oder eilten sofort an die Delikatessentheke. Andere steuerten schnurstracks die Katzenfutterecke
an oder drehten eine Sondierungsrunde auf der Suche nach den Sonderangeboten: »Kauf zwei, zahl eins.« Gelegentlich traf man sich in den Gängen und beklagte sich, dass wieder mal alles umgestellt worden war. Vor den Regalen mit den Tiefkühlmahlzeiten für Singles kam es regelmäßig zum Stau.
Als endlich der Assistent der Verkaufsleitung erschien und die Türen aufsperrte, trat Cooper zur Seite, damit die Sonntagmorgenkäufer ihre Einkaufswagen in Position bringen und sich vor ihm in den Laden drängen konnten. Der kleine Mann mit dem Stock erreichte als Letzter die Türen, wie immer. Cooper wollte gerade hineingehen, als sein Handy klingelte. Er nahm es vom Gürtel und schaute auf die Nummer im Display. Sie war ihm unbekannt. Das konnte nur Arbeit bedeuten.
Aus irgendeinem Grund ärgerte es ihn mehr denn je, dass er an seinem freienTag vom Büro angerufen wurde. Früher schien ihm das nie etwas ausgemacht zu haben. Aber jetzt hatte diese Störung seiner Sonntagmorgenroutine Folgen und brachte unter Umständen seine ganze Woche durcheinander. Am Sonntag wurde eingekauft, die Wohnung geputzt oder gebügelt, dann rasch zu Mittag gegessen. Der Nachmittag gehörte der Zeitungslektüre; dann ein kurzer Blick ins Fernsehen, bevor er seine Mutter besuchte. Den Abend verbrachte er im Pub, wo die üblichen Verdächtigen auf ihn warteten und sein üblicher Drink auf dem Tresen bereitstand, kaum dass er einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte. Innerhalb von knappen drei Monaten hatte er sich in dieser beruhigenden und überschaubaren Routine eingerichtet.
Cooper ließ das Telefon noch ein paarmal klingeln, während er seinen Einkaufswagen in den ersten Gang schob: frisches Obst und Gemüse. In einer Sekunde würde sich sein Anrufbeantworter einschalten, und er konnte so tun, als sei er nicht erreichbar gewesen. Dann würde ein anderer den Job erledigen müssen, den sie für ihn vorgesehen hatten. Bis Montagmorgen
würde er nicht einmal wissen, worum es gegangen war. Er würde nicht wissen, ob es sich um etwas Banales oder um den aufregendsten Fall seines Lebens gehandelt hätte.
»Also gut«, seufzte er und meldete sich vor dem nächsten Klingelton.
»Hallo, Ben. Hier ist Tracy Udall.«
Cooper hatte einen Moment Schwierigkeiten, mit dem Namen ein Gesicht in Verbindung zu bringen. Aber dann tauchte zwischen Stapeln von Karotten und Pastinaken ein Bild von Police Constable Udall in ihrer Schutzkleidung vor ihm auf.
»Guten Morgen, Tracy. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich morgen Dienst habe und beabsichtige, vormittags noch einmal nach Withens zu fahren.«
»Ja?«
»Ich wollte mit den Oxleys reden. Oder es wenigstens versuchen.«
»Na dann, viel Glück.«
»Ich werde vom Revier in Glossop so gegen zehn Uhr losfahren.«
»Ich arbeite morgen auch«, erwiderte Cooper und versuchte dahinter zu kommen, worauf Udall hinauswollte. Er war für den Tag der Razzia nur ausgeliehen worden. Im Büro der Kriminalpolizei in Edendale gab es mehr als genug zu tun, sogar an einem Montagmorgen.
»Schön«, meinte Udall munter, »dann bis morgen.« Und damit beendete sie das Gespräch.
Cooper steckte kopfschüttelnd sein Handy in den Gürtel. Die Sache war es nicht wert, dass er sich ärgerte. Er sollte sich besser über Obst und Gemüse Gedanken machen.
Er machte sich daran, Äpfel in Plastiktüten zu füllen. Ein paar Meter weiter weg hatte der Mann mit dem Stock die Hand ausgestreckt und betastete ein paar riesige Orangen, die aussahen, als hätte man sie mit Steroiden voll gepumpt. Der alte
Mann hängte sich gern an Cooper, um ihm ein Gespräch aufzudrängen. An diesem Morgen trödelte er mit Absicht in der Obstabteilung herum, damit Cooper aufschließen konnte. Der Mann mit dem Stock kaufte nie Orangen, er hatte eher eine Vorliebe
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