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Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Titel: Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Khoury
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beurteilen, weil er halb nackt ist. Er trägt khakifarbene Shorts und eine Kordel mit einem winzigen, aus Jade geschnitzten Jaguar um den Hals, sonst nichts, nicht einmal Schuhe. Seine Haut hat die Farbe einer geschälten Paranuss, ein helles, warmes Braun, das Braun von in der gesprenkelten Sonne des Regenwaldes verbrachten Tagen. Sein Haar ist so schwarz wie die Nacht ringsherum und dick verfilzt. Sein Gesicht hat etwas diffus Vertrautes, aber ich weiß nicht, was es ist. Das beunruhigt mich stark, da ich normalerweise nichts vergesse. Wenn ich diesen Jungen schon einmal gesehen hätte, würde ich mich daran erinnern. Und nicht nur, weil mein Gedächtnis perfekt ist. Ich würde mich an diese Augen erinnern… an diese modellierte Brust… die stark definierte Bauchmuskulatur…
    Ich zwinge mich, ihm wieder ins Gesicht zu schauen und meine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken. Meine anfängliche Angst verwandelt sich in Zorn. »Was machst du überhaupt hier? Es ist mitten in der Nacht! Und wo hast du deine Kleider?«
    Er antwortet erstaunlich ruhig: »Du hast dich weit von deinem Käfig entfernt, Pia-Vogel.«
    »Was?« Ich verstehe kein Wort.
    »Das Kleid.« Er weist mit dem Kinn darauf. »Du siehst darin aus wie ein Vogel. Einer von denen, die wir Ai’oaner uns gern auf die Schulter setzen. Aber damit im Dschungel herumzurennen, ist keine gute Idee.«
    Ich blicke auf mein zerrissenes Kleid hinunter. »Ich habe heute Geburtstag.« Wütend funkle ich ihn an. Ich lasse mich von ihm nicht aus dem Konzept bringen. Nicht noch einmal. »Ai’oaner? Was ist das?«
    Er legt eine Hand auf seine nackte Brust. »Wir sind ein Wer, nicht ein Was.«
    »Bist du ein Eingeborener?«
    »Ich bin ein Ai’oaner. Nur die Wissenschaftler nennen uns Eingeborene.« Er legt den Kopf schief und blickt mich neugierig an. »Bist du eine Wissenschaftlerin? Muss wohl so sein, du kommst schließlich aus diesem Little-Cam-Dorf.«
    »Nein. Ja. Ich meine, bald bin ich eine. Woher weißt du, wo ich herkomme? Warst du schon einmal in Little Cam?« Die Angst hat sich in Wut verwandelt, doch aus meiner Wut wird jetzt Faszination. Ich habe noch nie mit jemandem gesprochen, der außerhalb von Little Cam lebt. Harriet Fields zählt nicht, da sie jetzt auch in Little Cam ist.
    »Ich hab’s gesehen«, erwidert er, »allerdings nur von den Bäumen aus. Es ist kein Ort für Ai’oaner. Kapukiri sagt, im Dorf der Wissenschaftler sei das Böse zu Hause.«
    »Little Cam ist nicht böse«, widerspreche ich heftig. »Was weißt du denn schon darüber?«
    »Nur das, was Kapukiri sagt.« Er kniet sich hin und betrachtet Alai neugierig. »Er hört auf dein Wort und folgt dir überallhin. Unglaublich. Mit einem solchen Gefährten bist du wahrhaft gesegnet.«
    Seine Worte besänftigen mich und ich werde etwas freundlicher. »Ist dein Dorf hier in der Nähe?«
    Seine Augen verengen sich argwöhnisch. »Warum? Was willst du in Ai’oa?«
    »Ich will es sehen«, antworte ich aus einem Impuls heraus. »Zeig es mir.«
    »Ich weiß nicht…« Er runzelt die Stirn.
    »Der Rauch, den ich rieche, kommt der von Ai’oa?« Ich schließe die Augen und atme tief ein. »Er kommt aus… dieser Richtung.« Ich öffne die Augen und gehe dem Geruch nach. Als ich mich umdrehe, blickt Eio mich groß an.
    »Du…« Er kommt angelaufen. »Du kannst ihn von hier aus riechen?«
    »Äh…« Ich schlucke und rudere zurück. »Du etwa nicht?«
    Seine Verunsicherung ist ihm deutlich anzusehen. »Ich denke… Wenn du versprichst, nicht das ganze Dorf aufzuwecken…«
    »Ich schwör’s.«
    »Dann… okay.« Ihm scheint immer noch nicht wohl bei der Sache. Ich vermute, es kommt nicht so häufig vor, dass Besucher nach Ai’oa eingeladen werden.
    Ich folge ihm über umgestürzte Baumstämme, die mit Moos überzogen und ganz weich sind, und unter niedrig hängenden Ranken und Ästen hindurch. Dabei frage ich mich, woher er weiß, wohin er tritt, aber er scheint seinen Weg eher zu erspüren als zu sehen. Ich dachte eigentlich, ich würde mich im Dschungel leise bewegen, aber Eio schwebt geradezu über den Boden. Er bewegt sich geschmeidig wie eine Schlange und leicht wie ein Schmetterling. Alai hält sich die ganze Zeit zwischen uns und bringt sein Misstrauen in gesträubten Nackenhaaren und erhobenem Schwanz zum Ausdruck.
    Es dauert nicht lang und ich sehe die Feuer, von denen der Rauch aufsteigt, den ich schon die ganze Zeit rieche. Es sind mehrere Dutzend und sie brennen niedrig, mehr Glut als

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