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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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fehlenden Schere.«
    »Wenn eine junge Frau vorhat, ihr Baby zu töten, Detective, würde sie sich dann wohl die Mühe machen, die Nabelschnur zu durchtrennen?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Und wenn ich Ihnen sage, daß das Abklemmen und Durchschneiden der Nabelschnur beim Neugeborenen den Reflex auslöst, selbständig zu atmen? Wäre es dann sinnvoll, daß eine Frau das tut, wenn sie ihr Baby gleich darauf ersticken will?«
    »Vermutlich nicht«, antwortete Lizzie ruhig, »aber andererseits wissen wohl die wenigsten, daß das Durchtrennen der Nabelschnur die Atmung auslöst. Daß die Nabelschnur durchtrennt wird, weiß man einfach, aus dem Fernsehen, oder wenn man auf einer Farm mit Tieren lebt.«
    Ein wenig aus dem Konzept gebracht, trat Ellie einen Schritt zurück, um sich zu sammeln. »Wenn eine junge Frau ihr Baby töten wollte, wäre es da nicht leichter, es einfach mit Stroh zuzudecken und im Stall liegenzulassen, wo es in kurzer Zeit an Unterkühlung sterben würde?«
    »Vielleicht.«
    »Aber dieses Baby war sauber abgewischt und liebevoll eingewickelt, als es gefunden wurde. Detective, welche junge Mutter mit Mordgedanken würde ihr Baby noch säubern und einwickeln?«
    »Ich weiß nicht. Dennoch war es so«, sagte Lizzie mit Nachdruck.
    »Das bringt mich auf etwas anderes«, fuhr Ellie fort. »Ihrer Theorie nach hat Katie die Schwangerschaft sieben Monate lang vor allen anderen geheimgehalten und ist in den Stall geschlichen, um das Kind still und heimlich zur Welt zu bringen. Sie hat also große Mühe auf sich genommen, um zu verhindern, daß irgendwer vor oder nach der Geburt von der Existenz des Babys erfuhr. Wieso um alles in der Welt hätte sie es ausgerechnet an einem Ort zurücklassen sollen, wohin nur wenige Stunden später Männer kommen würden, um die Kühe zu melken? Wieso hat sie das Baby nicht in den Teich hinter dem Stall geworfen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Oder es im Misthaufen versteckt, wo es erst sehr viel später gefunden worden wäre?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Es gibt viele Stellen auf einer amischen Farm, wo man die Leiche eines Neugeborenen sehr viel besser verschwinden lassen könnte als unter einem Stapel Decken.«
    Achselzuckend entgegnete Lizzie: »Niemand hat behauptet, daß die Angeklagte clever wäre. Nur daß sie einen Mord begangen hat.«
    »Mord? Es geht hier um schlichten gesunden Menschenverstand. Wieso hätte sie die Nabelschnur durchtrennen, das Baby einwickeln, es töten sollen – um es dann da zurückzulassen, wo es ganz sicher bald entdeckt werden würde?«
    Lizzie seufzte. »Vielleicht konnte sie nicht klar denken.«
    Darauf hatte Ellie gewartet. »Aber eine Anklage wegen Mordes unterstellt, daß sie sich der Tat bewußt war, daß sie die Tat geplant hat, daß sie sie vorsätzlich begangen hat. Kann jemand vorsätzlich handeln und gleichzeitig verwirrt sein?«
    »Ich bin keine Psychologin. Ich weiß es nicht.«
    »Nein«, schloß Ellie vielsagend. »Sie wissen es nicht.«
    Als Katie und Jacob noch klein waren, spielten sie oft in den Feldern, liefen im Zickzack durch die sommerlichen Maisfelder, wie durch einen Irrgarten. Die grünen Wände wuchsen so unglaublich dicht, daß sie manchmal nur einen Meter von ihrem Bruder entfernt war, ohne es zu merken.
    Einmal, sie war ungefähr acht, verlor sie die Orientierung. Sie hatten gespielt, aber Jacob war zu schnell vorausgelaufen. Katie hatte nach ihm gerufen, aber er wollte sie ärgern und kam nicht zurück. Sie war immer im Kreis gegangen, war müde und durstig geworden, bis sie sich schließlich einfach auf der Erde ausstreckte. Sie blinzelte zwischen den Halmen empor und tröstete sich mit dem Gedanken, daß es noch immer dieselbe vertraute Sonne war, derselbe vertraute Himmel, dieselbe ihr bekannte Welt, in der sie an diesem Morgen aufgewacht war. Und schließlich packte Jacob das schlechte Gewissen, so daß er zurückkam und sie holte.
    Während Katie am Tisch der Verteidigung saß und ein Wirrwarr von Worten auf sie einprasselte, dachte sie an diesen Tag im Maisfeld.
    Vieles wandte sich von allein zum Guten, wenn man den Dingen ihren Lauf ließ.
    »Die Patientin wurde mit einer starken vaginalen Blutung in die Notaufnahme eingeliefert, und ein Urin-Schwangerschaftstest war positiv. Sie hatte einen schwammigen Uterus, etwa vierundzwanzigste Woche, und einen geöffneten Gebärmuttermund«, sagte Dr. Seaborn Blair.
    »Hat die Angeklagte sich widerspruchslos behandeln lassen?« fragte George.
    »Nein«,

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