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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hab ich mich noch nirgendwo so fehl am Platze gefühlt.«
    Katies Blick wanderte von Ellies Joggingschuhen über ihr Sommerkleid bis zu ihren klimpernden Ohrringen. Sogar die Art, wie Ellie saß – als wäre ihr das Gras an den Waden zu kratzig –, wirkte unbehaglich. Ellie war nicht aus Lust und Laune gekommen, nicht wie die Menschen, die scharenweise ins Lancaster County strömten, um einen Blick von den Amischen zu erhaschen. Sie hatte Tante Leda einen Gefallen getan, und daraus war eine Verpflichtung geworden.
    Katie erinnerte sich gut, wie sie sich gefühlt hatte, wenn sie Jacob besucht hatte. Sie war nicht zu einem normalen englischen Teenager geworden, nur weil sie sich als solchen verkleidet hatte. Für Ellie mußte es etwas völlig Neues sein, in einer Welt sie selbst zu sein, in der alle bemüht waren, gleich zu sein. Eine Welt voller Menschen konnte trotzdem ein sehr einsamer Ort sein.
    »Da kann ich dir helfen«, sagte Katie laut. Mit einem breiten Lächeln deutete sie auf das Tabakfeld. »Duwwack.«
    Ellie sah sie verständnislos an. »Wie bitte?«
    »Duwwack« , wiederholte Katie, »das heißt Tabak auf deitsch .«
    Nach einem Moment begriff Ellie. Sie nahm das kleine Geschenk dankbar an. » Duwwack «, wiederholte sie.
    Katie strahlte, als Ellie das Wort aussprach. »Sehr gut.« Dann sagte sie: » Wie bischt du heit? Wie geht’s dir?« und reichte ihr die Hand.
    Langsam streckte Ellie ihr die Hand entgegen. Zum erstenmal, seit sie gestern ins Gericht gekommen war, sah sie Katie in die Augen. Die Leichtigkeit des Nachmittags, der Deitsch -Stunde, alles fiel von ihnen ab, bis die beiden Frauen nur noch den Druck ihrer Handflächen gegeneinander wahrnahmen, das Summen der Grillen und die Erkenntnis, daß sie noch einmal neu anfingen. »Ich bin Katie Fisher«, sagte Katie leise.
    »Ich bin Ellie Hathaway«, antwortete Ellie. » Wie bischt du heit? «
    »Ich hol uns noch Popcorn, bevor der Film anfängt«, sagte Jacob und stand auf. Als Katie in ihren Taschen nach dem Geld kramte, das Mam ihr mitgegeben hatte, schüttelte Jacob den Kopf. »Ich lad dich ein. He, Adam, paß gut auf sie auf.«
    Katie war verärgert, weil ihr Bruder sie wie ein kleines Kind behandelte. »Ich bin siebzehn. Meint er etwa, ich würde weglaufen?«
    Adam neben ihr lächelte. »Wahrscheinlich hat er Angst, daß irgend jemand seine hübsche kleine Schwester stehlen könnte.«
    Katie lief bis zu den Haarwurzeln rot an. »Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie. Sie war es nicht gewohnt, daß man ihr Komplimente wegen ihres Aussehens machte, höchstens für eine gut ausgeführte Arbeit. Und es verunsicherte sie, allein mit Adam zu sein, den Jacob eingeladen hatte, mit ins Kino zu kommen.
    Katie trug keine Uhr, und sie fragte sich, wann der Film endlich anfangen würde. Es war erst ihr vierter Kinobesuch. Diesmal war es ein Liebesfilm – ein eigenartiges Thema für einen zweistündigen Film. Liebe, dabei sollte es doch eigentlich nicht nur um den Moment gehen, wenn man einem Jungen in die Augen sah und merkte, wie man den Boden unter den Füßen verlor; wenn man in seiner Seele all das sah, was in der eigenen Seele fehlte. Liebe kam langsam und sicher und bestand zu gleichen Teilen aus Einmütigkeit und Achtung. Eine junge amische Frau wurde nicht von der Liebe überwältigt, sie sah höchstens mal nach unten und stellte dann fest, daß sie schon mit beiden Beinen mitten drin steckte. Eine junge amische Frau wußte, daß sie verliebt war, wenn sie zehn Jahre in die Zukunft schaute und denselben jungen Mann neben sich stehen sah, seine Hand um ihre Schultern gelegt.
    Adams Stimme riß sie aus ihren Gedanken. »Und du«, sagte er höflich, »lebst also in Lancaster County?«
    »In Paradise. Na ja, eher am äußeren Rand.«
    Adams Augen erhellten sich. »Am Rand von Paradise«, sagte er lächelnd. »Hört sich fast so an, als müßtest du dich auf einen Sündenfall gefaßt machen.«
    Katie biß sich auf die Unterlippe. Sie verstand Adams Witze nicht. Um das Thema zu wechseln, fragte sie ihn, ob er auch Englisch studiert hatte, wie Jacob.
    »Äh, nein«, sagte Adam. Wurde er etwa rot? »Ich arbeite im Bereich der paranormalen Wissenschaft.«
    »Para-«
    »Geister. Ich studiere Geister.«
    Wenn er sich in diesem Augenblick komplett ausgezogen hätte, hätte es Katie nicht heftiger schockieren können. »Du studierst sie?«
    »Ich beobachte sie. Ich schreibe über sie.« Er schüttelte den Kopf. »Du mußt es nicht aussprechen. Ich

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