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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Lärm, der klingt wie eine Mischung aus dem Kratzen von Fingernägeln über Glasscheiben, dem Gehämmer einer Schiffswerft und dem Gejaule rolliger Katzen. Das Schlimmste daran aber ist meine eigene, unfaire Undankbarkeit. Ich hasse sie, obwohl ich weiß, ich verdanke es bloß einem blöden Zufall, dass ich drinnen im Warmen liege, meist mit einer Frau an meiner Seite, während sie sich da draußen den Rücken krumm schuften.
    Schlechtgelaunt floh ich an einem Abend gegen Ende November nicht zum Flughafen, sondern zum Handyladen, in dem Mascha arbeitete, irgendwo in der Nähe der Metrostation Nowokusnzekaja. Sie rechnete nicht mit mir. Zielstrebig eilte ich in Richtung Tretjakow-Galerie, vorbei an einer verfallenen Kirche, der gegenüber ein verstecktes Café lag, in dem ich einmal gewesen war, ein Ort, an dem privilegierte russische Kids sich rebellische Musik anhörten und vorgaben, Dissidenten zu sein. Direkt dahinter lag Maschas Laden. Ich warf einen Blick durchs Fenster.
    Sie saß an einem Tisch, Stirnreif im Haar, und hörte zu, wie ihr ein junges
stone-washed
Paar seine telefonischen Wünsche darlegte. Der Laden besaß einen Empfangsbereich, in dem man aus einer Ticketmaschine eine Nummer zog und darauf wartete, ins eigentliche Büro gerufen zu werden, in dem Mascha mit den übrigen Verkäuferinnen saß. Es war das reinste Nur-noch-Stehplatz-Pandämonium, eine Atmosphäre wie im Innern der Arche Noah. (Damals gab es mehr Mobiltelefone als Einwohner in Moskau, vor allem wohl deshalb, so hieß es, weil die Männer einen separaten Apparat für Gespräche mit ihrer Geliebten brauchten.) Eine Frau in der hinteren Ecke wimmerte, als setzten die Wehen ein. Ich putzte die beschlagene Brille und drängelte mich durch die Menge, als die Tür zum Büro aufging und Mascha zu mir herauskam.
    »Kolja«, knurrte sie mit ihrer erstaunlichen Stimme, die mir unmittelbar ins Gedärm fuhr, »geh bitte ins Raskolnikow an der Pjatnizkaja und warte da auf mich. Es kann aber noch zwanzig Minuten dauern.«
    »Okay«, erwiderte ich und sah ihr nach, als sie zurück an den Tisch ging, die Beine in engen, schwarzen Büromädchenhosen, die Oberleibkurven von einem rennsportgrünen Firmensweatshirt gemildert.
    Ich tat wie geheißen und wartete am Fenster im Raskolnikow, einem warmen, in einem kleinen Hinterhof versteckten Café, das sich keine allzu große Mühe gab, von Kunden gefunden zu werden. Schließlich bog Mascha in den Hof ein. Sie trug einen Mantel, der irgendwie an eine Art rote, aus Flicken zusammengestoppelte Daunendecke erinnerte, aber unglaublich sexy aussah. Sie trug Pumps mit zehn Zentimeter hohen Hacken, die sie stets nach der Arbeit anzog, wandelte darauf durch den Schnee wie Jesus über das Wasser und besaß die perfekte Winterstraßenlage. Sie kam herein, zog den Mantel aus und setzte sich zu mir.
    »Wie war die Arbeit?«, fragte ich.
    »Was ist los mit dir?«
    Keine Ahnung, was ich hier suche
, wollte ich ihr sagen,
nicht mal, was ich in Russland will; ich fühle mich einsam; ich liebe dich
.
    Das habe ich nicht gesagt, was dich wohl kaum überraschen dürfte. Stattdessen murmelte ich irgendwas auf Englisch vor mich hin, sagte, ich fühle mich nicht besonders, sei ein bisschen müde, wolle sie sehen und hoffe, es mache ihr nichts aus, dass ich mich so aufdränge.
    »Hör mal«, sagte sie. »Am Samstag fahren wir zur Datscha.«
    »Was für eine Datscha?«
    Die russische Datscha ist ein sinnlicher Ort, der sinnlichste überhaupt, ein erdverhafteter Rückzugsort, an dem man Kartoffeln zieht, Zwiebeln einlegt und Angeln geht. Die Datscha ist aber auch ein Ort der Fantasie, jener Ort, der nicht Moskau ist, wo es keine Verkehrsstaus gibt, keine Ganoven und keine Polizei.
    »Die Datscha gehört dem Großvater meines Freundes Anya, aber der fährt nie hin. Da gibt es eine
banja
, und wir machen Schaschlik. Mit Katja. Du fühlst dich gleich besser.«
    »Okay«, sagte ich. »Gut.«
    »Aber morgens fahren wir erst nach Butowo.«
    »Und warum fahren wir nach Butowo?«
    »Wir fahren mit Tatjana Wladimirowna«, sagte Mascha.
    »Und warum fährt Tatjana Wladimirowna nach Butowo?«
    Butowo ist ein Vorort, der am äußersten Südrand dieser monströsen Stadt klebt und vermutlich mal ein selbständiges Dorf war, ehe es vom sich immer weiter aufblähenden Moskau geschluckt wurde, so wie die U-Bahn bewirkt, dass die Dörfer in Middlesex von London geschluckt werden.
    »Sie will da vielleicht mal wohnen, und Samstag fahren wir hin, damit

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