Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
Notleidenden zu helfen, denn sie vertraten die These, dass nicht die Menschen dem Sonnengott, sondern der Sonnengott in Wahrheit den Menschen diene, indem er in Gestalt barmherziger Menschen wirke. Um diese Lehre einfach als Ketzerei zu verbannen, war das Ansehen der Bruderschaft in der Bevölkerung einfach zu hoch. Inzwischen tolerierten beide Seiten einander.
Der Mönch, den der Hofmeister in den Saal führte, trug eine dunkelbraune Kutte und hatte die Kapuze weit über den Kopf gezogen, sodass sie ihm tief ins Gesicht hing, das größtenteils im Schatten lag. Nur das spitze, blass wirkende Kinn war sichtbar.
Dem Mönch folgten mehrere Straßenkinder in erbarmungswürdigem Aufzug. Sie trugen Lumpen und hatten Tücher um ihre Köpfe gewickelt, die ihre Gesichter bis auf die Augen bedeckte, weil sie vermutlich unter entstellenden Hautkrankheiten litten. Diese wiederum wurden ausgelöst durch Krankheiten, die man sich in den Gassen der Stadt, die immer weiter wucherte und deren Ausdehnung die eigenen Stadtmauern längst gesprengt hatte, leicht holen konnte.
Magolas hatte zu Beginn seiner Regentschaft versucht, diesem Elend durch den Einsatz Elbischer Heiler Herr zu werden, aber die elbische Heilkunst erwies sich in diesem Fall als fast genauso wirkungslos wie bei dem Versuch, Laranas Leben über das lächerlich kurze Maß hinaus zu verlängern, das die Natur ihr zugestanden hatte.
Larana hatte gleich ein eigenartiges Gefühl der Beklemmung, als sie den Mönch sah. Ein Schauder rieselte ihr über den Rücken, doch erklären konnte sie sich dies nicht.
»Mein Gemahl ist leider nicht anwesend«, sagte sie. »So werde ich den Großkönig vertreten, was gewiss in seinem Sinne ist.«
Erinnert Euch an Eure Träume!
Dieser Gedanke drängte sich Larana plötzlich auf, und sie war wie erstarrt.
»So tut Eure Pflicht gegenüber dem Sonnengott«, sagte der Mönch, »und lindert das Leid durch die Wärme Eures Mitgefühls, so wie die Sonne die Gläubigen und ihre Felder wärmt.«
Larana wandte sich an Hofmeister Comrrm. »Gebt mir die Schatulle«, forderte sie.
»Wie Ihr wünscht.« Der Hofmeister machte eine tiefe Verbeugung, dann brachte er ihr die mit magolasischen Golddukaten gefüllte Schatulle, für deren Inhalt ein gewöhnlicher aratanischer Seemann, Handwerker oder Hauslehrer mehrere Jahre hätte arbeiten müssen.
»Lasst mich bitte mit dem Barmherzigen Bruder allein«, forderte Larana.
Dem Hofmeister schien dies zu widerstreben, aber er folgte selbstverständlich dem Wunsch seiner Gebieterin. »Wir Ihr meint, Eure Erhabenheit.«
Nachdem sich Hofmeister Comrrm zurückgezogen hatte, wandte sich Larana an den Mönch.
»Andir«, murmelte sie.
Der Mönch schlug die Kapuze seiner Kutte zurück, deren Farbe sich auf einmal merklich aufhellte, und Larana erkannte, dass sie in Wirklichkeit nicht aus grober Jute, sondern aus feinem Elbenzwirn gewebt war. Unter der Kapuze kam das von weißem Haar umrahmte, elfenbeinfarbene Gesicht des Elbenmagiers zum Vorschein.
»Warum seid Ihr so erstaunt, mich zu sehen?«, fragte Andir.
»Schließlich wart Ihr es doch, die mich rief.«
»Ich?«
»Eure Gedanken. Eure Wünsche. Und die Sorge um Eure Kinder. Das ist es, was mich herbeirief, denn ich wäre niemals hier, müsste ich einer Mutter gegen ihren Willen die Kinder entreißen.«
»J-ja«, stammelte sie. »Ihr – Ihr habt recht, Andir.« Es verwirrte sie aus mehreren Gründen, ihn leibhaftig vor sich zu sehen. Zum einen glichen sein Gesicht und dessen Linien exakt dem Antlitz Magolas’, auch wenn Andir um Jahrhunderte älter wirkte. Dennoch, der Elbenmagier erschien Larana wie ein helles Spiegelbild seines von Finsternis durchdrungenen Bruders: Die Augen wirkten sehr hell, und sie hatte das Gefühl, dass sie von innen heraus strahlten. Sie fühlte sich an Magolas’ Augen erinnert, als die Dunkelheit sie nur hin und wieder vollkommen ausgefüllt hatte. Inzwischen hatte Larana manchmal das Gefühl, in leere Höhlen zu blicken, wenn sie ihren Gemahl ansah.
Aber da war noch ein anderer Grund, weswegen Larana es kaum fassen konnte, dass Andir ihr plötzlich gegenüberstand.
Sie schluckte und setzte an: »Ich dachte…«
»Mein Tod war eine Illusion in den Köpfen derjenigen, die meinen Tot wollten«, erklärte er ihr, als sie nicht weitersprach.
»Nicht mehr und nicht weniger.«
»Aber Magolas sagte mir…« Erneut verstummte sie mitten im Satz.
»Hätte ich eine andere Möglichkeit gehabt, mich dem Palast überhaupt
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