Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
seinem Wams. Aber in all die optimistischen Zukunftsaussichten mischte sich auch ein deutliches Unbehagen. Er fühlte fast ständig einen unangenehmen Druck in der Magengegend und hatte deswegen sogar schon die Heilerin Nathranwen konsultiert, die jedoch keine Ursache dafür zu finden vermochte.
Beiläufig bemerkte Rhiagon den Schlag von Flügeln. Er wusste, dass es ein Rabe war, und fragte sich gleichzeitig, ob sein Gehör diese besondere Feinheit der Unterscheidung wohl behalten würde, wenn er weiterhin die künstlichen Augen nutzte und damit auf die Ohren nicht mehr so angewiesen war wie zu der Zeit, da er blind gewesen war.
Aus den Augenwinkeln heraus sah Rhiagon den Raben auf dem Pflaster des Burghofs landen, vermutlich um zwischen den Fugen Regenwürmer herauszupicken. Er kümmerte sich nicht weiter um das Tier und drehte ihm den Rücken zu.
»Ihr scheint zufrieden mit Eurem neuen Gesichtssinn zu sein«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Rhiagon erkannte sie sofort und erschrak bis ins Mark. Er drehte sich herum. Der Rabe war verschwunden, und Rhiagon fragte sich, woher die Elbengestalt mit den bernsteinfarbenen Haaren so plötzlich aufgetaucht war.
»Zerolas!«, stieß der Hauptmann hervor.
»Schön, dass Ihr Euch noch an meinen Namen erinnert.«
»Ich habe Euch eine ganze Weile nicht in Elbenhaven gesehen.«
»Aber ich war immer da und habe Euch umgekehrt sehr wohl gesehen, mein Freund!«
»Und jetzt? Was wollt Ihr?«
»Ich bin gekommen, um Euch meinen Preis zu nennen. Oder gedenkt Ihr, Euch von den Augen wieder zu trennen? Ich bin im Übrigen gewiss, dass es keine Schwierigkeit für Euch bedeuten dürfte, diesen Preis zu bezahlen – so Ihr den Willen dazu habt!«
Ein tiefes Unbehagen erfasste Rhiagon. Er fühlte eine gewisse Scheu, den Händler überhaupt näher spezifizieren zu lassen, worin der Preis nun eigentlich bestand. Andererseits ließ sich die Neugier in ihm kaum noch bändigen. »Da ich keine Reichtümer angehäuft habe, nehme ich an, dass Ihr eine Gegenleistung in anderer Form von mir erwartet, Zerolas«, äußerte er schließlich.
»Gewiss. Und es ist nichts, das nicht mit Eurem Handwerk zu tun hätte.«
»Welchem Handwerk?«
»Dem Handwerk des Tötens, werter Hauptmann. Denn Ihr seid doch ein Krieger.«
Und während Zerolas dann mit leiser, fast flüsternder Stimme weitersprach, wurde Rhiagon schreckensbleich, so als hätte ihn ein leibhaftiger Maladran und nicht ein einfacher Nordbergener Händler angesprochen.
Admiral Ithrondyr kehrte von seiner Fahrt nach Naranduin mit bedrückenden Nachrichten zurück. Die Königin empfing ihn im großen Audienzsaal. Herzog Branagorn war ebenso anwesend wie Hauptmann Rhiagon, dem man inzwischen das Kommando der Burgwache übertragen hatte, nachdem der vorherige Inhaber dieses Amtes einen Anfall unerklärlicher Schwermut erlitten hatte, die als Vorstufe des Lebensüberdrusses galt. Nach Angabe seines Heilers bräuchte eine erfolgreiche Behandlung zwischen einem und zehn Jahren, und es sei außerdem wichtig, bereits in diesem frühen Stadium damit zu beginnen und das Leiden auszukurieren, da man ansonsten Gefahr laufe, einen weiteren Fall von Lebensüberdruss beklagen zu müssen.
Der Heiler hatte eine spezielle Heilmethode entwickelt, für die er innerhalb der Heilerzunft viel Anerkennung gefunden hatte.
So kam es, dass Rhiagon Zeuge dessen wurde, was Admiral Ithrondyr seiner Königin an furchtbaren Neuigkeiten zu überbringen hatte: Der Admiral berichtete davon, dass der König ein Opfer der Finsternis geworden war und man nicht mehr mit seiner Rückkehr rechnen durfte. »Selbst Prinz Sandrilas ist überzeugt davon, dass keine Hoffnung mehr besteht«, sagte der Admiral, und Ruwen forderte ihn dann auf, Einzelheiten zu nennen.
Sie erhob sich von ihrem Platz und schritt auf den Kommandanten der Elbenkriegsflotte zu. Ihr Blick war klar und fixierte ihn. Das Herz schlug ihr bis in den Hals, und zwar so heftig, dass sie fürchten musste, die anwesenden Elben würden es als hämmernde Geräuschkulisse wahrnehmen, und ihre Verzweiflung würde dadurch allgemein offenbar.
»Ihr braucht mich nicht zu schonen«, sagte sie. »Ich möchte, dass Ihr mir jede Einzelheit nennt. Was ist mit meinem geliebten Keandir geschehen?«
Admiral Ithrondyr berichtete ihr, was er über den Kampf auf dem Felsplateau zwischen den sechs Steindornen erfahren hatte, und Tränen traten in Ruwens Augen. Sie hatte geglaubt, dass ihre eigene Schicksalslinie – und
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